Fall 1
Aktenzeichen: 1 BvR 222/97
Beck Online: BeckRS 1998 20975.0

cid 1 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 222/97 - 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   


der Frau W... 


   



        - Bevollmächtigte:
       

        Rechtsanwälte Christoph Bode und Partner, 
        Schanzenstraße 75-77, Hamburg -
       


   





gegen 

den Beschluß des
          Oberlandesgerichts Celle vom 16. Dezember 1996 - 2 Ss
          (OWi) 304/96 - 




   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch den 
Vizepräsidenten Papier 
      und die Richter Grimm, 
      Hömig 


   


gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a
      BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993
      (BGBl I S. 1473) am 12. März 1998 einstimmig beschlossen: 


   


Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
      Entscheidung angenommen. 


   


Gründe: 

 

I. 


1  


1. Die Beschwerdeführerin ist
      Atomkraftgegnerin. Sie wohnt im Landkreis Lüchow-Dannenberg,
      in dem sich ein Lager für radioaktive Abfälle befindet. Aus
      Anlaß eines Transports von Castor-Behältern mit atomarem
      Material in dieses Lager war für den 25. April 1995 eine
      Versammlung geplant, die von der zuständigen Behörde mit
      einer in der örtlichen Zeitung am 21. April 1995
      bekanntgemachten Allgemeinverfügung untersagt wurde. Die
      Beschwerdeführerin nahm dessen ungeachtet an der Versammlung
      teil. Dabei befand sie sich - nach ihrer vom Amtsgericht
      wiedergegebenen Einlassung mit Ketten an den Händen - an den
      Eisenbahnschienen der Bahnlinie Uelzen-Dannenberg, die nur
      noch für Castor-Transporte benutzt wird. Das
      Versammlungsverbot wurde später vom Verwaltungsgericht wegen
      unzureichender Gefahrenprognose für rechtswidrig erklärt. 


2  


2. Auf ihren Einspruch gegen den an sie
      gerichteten Bußgeldbescheid sprach das Amtsgericht die
      Beschwerdeführerin mit der Begründung frei, Verstöße gegen
      Versammlungsverbote dürften nicht ohne Rücksicht auf deren
      Rechtmäßigkeit geahndet werden. Ebenso wie das
      Verwaltungsgericht halte es das Versammlungsverbot für
      rechtswidrig, weil die Erwägungen zur Gefahrenprognose zu
      undifferenziert und zu pauschal gewesen seien. 


3  


Mit dem angegriffenen Beschluß ließ das
      Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft
      zu, hob das angefochtene Urteil auf und verurteilte die
      Beschwerdeführerin wegen vorsätzlichen unbefugten Betretens
      einer Bahnanlage zu einer Geldbuße von 400 DM. Die auf der
      Einlassung der Beschwerdeführerin beruhenden Feststellungen
      des Amtsgerichts belegten objektiv und subjektiv den Verstoß
      gegen § 64 b EBO. Die Beschwerdeführerin habe zumindest
      mit bedingtem Vorsatz gehandelt, als sie sich aus Protest
      gegen den Castor-Transport an die Bahnschienen angekettet
      habe. Ein etwaiger Verbotsirrtum wäre durch Einholung einer
      zuverlässigen Rechtsauskunft vermeidbar gewesen. 


4  


Die auf das Versammlungsgesetz bezogene
      Auffassung des Amtsgerichts, die Beschwerdeführerin habe
      erlaubt gehandelt, sei rechtsfehlerhaft, für die
      Anwendbarkeit von § 28 AEG und § 64 b EBO jedoch
      nicht von unmittelbarer Bedeutung. Gegen deren
      Verfassungsmäßigkeit bestünden keine Bedenken. Eine Kollision
      mit Art. 8 GG komme nicht in Betracht. 


5  


Die Geldbuße sei § 28 Abs. 2 AEG zu
      entnehmen. Bei der Zumessung sei zu berücksichtigen, daß die
      Beschwerdeführerin unbestraft sei, ihr Eingriff in den
      Bahnbetrieb nur kurzzeitig gewesen sei und nicht zu konkreten
      Behinderungen geführt habe. Überdies sei ein vermeidbarer
      Verbotsirrtum mildernd zu berücksichtigen. 


6  


3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die
      Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 8 Abs. 1, Art. 101
      Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. 


7  


Sie sei ihrem gesetzlichen Richter dadurch
      entzogen worden, daß das Gericht die Rechtsbeschwerde
      zugelassen und sodann in der Sache entschieden habe. Das
      Oberlandesgericht habe Feststellungen getroffen, die dem
      amtsgerichtlichen Urteil nicht zu entnehmen gewesen seien. So
      habe das Oberlandesgericht festgestellt, sie habe sich auf
      den Gleisen angekettet, ohne daß eine derartige Feststellung
      dem amtsgerichtlichen Urteil zu entnehmen wäre. 


8  


Die Auffassung, eine unter dem Schutz des
      Grundgesetzes stehende Versammlung rechtfertige unter keinen
      Umständen den Aufenthalt auf Schienen, werde der Bedeutung
      des Grundrechts nicht gerecht. Zum öffentlichen Raum gehöre
      im Landkreis Lüchow-Dannenberg auch die von allen Seiten
      zugängliche und allein dem Castor-Transport vorbehaltene
      Bahnstrecke Uelzen- Dannenberg. Angesichts der fehlenden
      konkreten Behinderung und der Symbolkraft der Demonstration
      sei eine Abwägung geboten gewesen, die zugunsten der
      Versammlungsfreiheit habe ausschlagen müssen. Überdies sei
      die Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots unberücksichtigt
      geblieben. 

 

II. 


9  


Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
      Entscheidung angenommen. Ihr kommt keine grundsätzliche
      verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn von § 93 a Abs.
      2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihr aufgeworfenen Fragen
      sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
      geklärt. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist
      auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur
      Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten
      Rechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine
      Aussicht auf Erfolg. 


10  


Zwar hat das Oberlandesgericht zu erkennen
      gegeben, daß es die Auffassung des Amtsgerichts mißbilligt,
      eine Ahndung der Tat aufgrund des Versammlungsgesetzes komme
      nicht in Betracht, weil das Versammlungsverbot rechtswidrig
      gewesen sei. Insoweit stehen die Ausführungen nicht im
      Einklang mit Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 87, 399
      <406 ff.>). Die angegriffene Entscheidung beruht
      aber nicht auf dieser Ansicht. Das Oberlandesgericht hat die
      Verurteilung der Beschwerdeführerin vielmehr allein auf die
      eisenbahnrechtlichen Vorschriften von § 64 b Abs. 2 Nr.
      1 EBO und § 28 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 AEG gestützt. Diese
      schränken das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in
      verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein. Da sie sich im
      Unterschied zu § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG nicht speziell
      auf ein Verhalten im Zusammenhang mit verbotenen
      Versammlungen beziehen, sondern einer generell bestehenden
      Gefahr entgegenwirken, hängt ihre Anwendung auch nicht von
      der Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots ab. Bei der
      Auslegung und Anwendung der eisenbahnrechtlichen Vorschriften
      hat das Oberlandesgericht Bedeutung und Tragweite des
      Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht verkannt. Seine
      Auffassung, daß sich die Beschwerdeführerin nicht darauf
      berufen konnte, die Bahnstrecke sei von allen Seiten
      zugänglich und allein den Castor-Transporten vorbehalten,
      begegnet keinen Bedenken. Denn am Tag der Versammlung wurde
      auf der Strecke ein die Castor-Behälter transportierender Zug
      erwartet. Bei der Zumessung des Bußgeldes hat das
      Oberlandesgericht Gesichtspunkte der Versammlungsfreiheit
      ausreichend berücksichtigt. 


11  


Für eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 und
      Art. 103 Abs. 1 GG ist nichts hervorgetreten. Insoweit wird
      auf eine weitere Begründung verzichtet (§ 93 d Abs. 1
      Satz 3 BVerfGG). 


12  


Diese Entscheidung ist unanfechtbar. 


   




 


Papier 
Grimm 
Hömig