Fall 16
Aktenzeichen: 1 BvQ 24/00
Beck Online: NVwZ 2000 1406.0

cid 16 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvQ 24/00 - 

 

 

 

Im Namen des Volkes 

 

In dem Verfahren 
      über 
      den Antrag, 

 

unter Aufhebung des Beschlusses des
      Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig
      vom 31. August 2000 - 4 M 67/00 - die aufschiebende Wirkung
      des am 29. August 2000 eingelegten Widerspruchs gegen die
      Verbotsverfügung der Stadt Neumünster vom gleichen Tag wieder
      herzustellen, 


   


Antragsteller: Herr W... 


   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch den 
Vizepräsidenten Papier 
      und die Richter Steiner, 
      Hoffmann-Riem 


   


gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit
      § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
      vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 1. September 2000
      einstimmig beschlossen: 


   



Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
        des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung der Stadt
        Neumünster vom 29. August 2000 wird mit folgenden Maßgaben
        wieder hergestellt: 
        a) Die Demonstration ist um 15.00 Uhr zu beenden. 
        b) Untersagt ist die Benutzung von Trommeln und Fahnen -
        außer der Bundesflagge - und von Transparenten strafbaren
        Inhalts, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger
        Organisationen sowie das Tragen von Uniformen,
        Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken als
        Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung. 
        c) Möglichen weiteren von der Versammlungsbehörde für
        erforderlich gehaltenen Auflagen über die Streckenführung -
        beispielsweise in Anlehnung an die vom
        Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht in seinem
        Beschluss vom 31. August 2000 - 4 M 67/00 - (Seite 3, Ende
        erster Absatz) benannte Alternative - ist Folge zu
        leisten.
                             Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
                             Das Land Schleswig-Holstein hat die Hälfte
        der notwendigen Auslagen des Antragstellers zu
        erstatten.
                          


   


Gründe: 


1  


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes
      Versammlungsverbot. Die Kammer hat die Begründung ihrer
      Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 in Verbindung mit
      § 93 d Abs. 2 BVerfGG nach Bekanntgabe des Beschlusses
      schriftlich abgefasst. 

 

I. 


2  


1. Der Antragsteller meldete am 25. August
      2000 eine Demonstration zum Thema "Erhaltet den Club 88" für
      Samstag, den 2. September 2000, an, die sich gegen die von
      der Stadt Neumünster beabsichtigte Schließung der Gaststätte
      "Club 88" richtet. Die Demonstration soll in der Zeit von
      12.00 Uhr bis 16.00 Uhr durch die Neumünsteraner Innenstadt
      führen, wobei Zwischenkundgebungen Ecke
      Friedrichstraße/Rendsburger Straße und am Großflecken vor dem
      Rathaus geplant sind. Es werden etwa 200 Teilnehmer erwartet.
      Für den gleichen Tag ist um 10.30 Uhr eine Gegendemonstration
      angemeldet. Ab 15.00 Uhr soll auf dem Großflecken das
      Stadtfest "Weinköste" stattfinden. 


3  


a) Nachdem die Stadt Neumünster mit Bescheid
      vom 29. August 2000 die von dem Antragsteller angemeldete
      Demonstration untersagt hatte, stellte das Verwaltungsgericht
      die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
      mit den im Tenor unter 1. a) und b) genannten Maßgaben wieder
      her. Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht zunächst
      darauf, dass die Ausführungen der Versammlungsbehörde zu dem
      "Club 88" für gaststättenrechtliche Maßnahmen relevant sein
      könnten, daraus ergebe sich aber nicht, dass aus der Versammlung heraus  eine unmittelbare
      Gefährdung der öffentlichen Sicherheit drohe. Soweit die
      Versammlungsbehörde auf die Person des Antragstellers
      abstelle, obliege es ihr, konkrete Belege für ihre Prognosen
      vorzulegen, allgemeine Spekulationen und Vermutungen reichten
      nicht aus (Bezugnahme auf den Beschluss der Kammer vom 18.
      August 2000 - 1 BvQ 23/00 -). Diesen Anforderungen genüge die
      Verbotsverfügung nicht. Auch die Aussage, der bewusste und
      beharrliche Verstoß gegen Strafvorschriften, die im
      Zusammenhang mit der Verbreitung nationalsozialistischer
      Propaganda stünden, sei mit einer Demonstration zu dem vom
      Antragsteller angekündigten Thema untrennbar verbunden,
      entbehre jeglicher Substantiierung. Soweit schließlich die
      Versammlungsbehörde auf die angemeldete Gegendemonstration
      und die Gewaltbereitschaft mit der hieraus resultierenden
      Gefahr konkreter Gewalttaten verweise, handele es sich um
      nicht belegte Vermutungen. Sollten gewalttätige
      Ausschreitungen von anderen ausgehen, müssten behördliche
      Maßnahmen primär gegen die Störer gerichtet werden, die
      Durchführung der Versammlung wäre zu schützen. Das pauschale
      Vorbringen der Versammlungsbehörde, dass die polizeilichen
      Möglichkeiten auf Grund anderer Veranstaltungen "nachhaltig
      erschwert" seien, rechtfertige die Annahme eines
      polizeilichen Notstandes nicht. Ein zu enges zeitliches
      Aufeinandertreffen von Weinköste und Demonstration könne
      durch die Auflage verhindert werden, die Demonstration statt
      um 16.00 Uhr bereits um 15.00 Uhr zu beenden. Das völlige
      Verbot der Demonstration ohne Prüfung, ob sich eventuelle
      Gefahren durch Veränderungen von Zeit und Ort der
      Demonstration verhindern lassen, werde dem Rang des
      Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nicht gerecht. 


4  


b) Auf den hiergegen gerichteten Antrag der
      Stadt Neumünster auf Zulassung der Beschwerde ließ das
      Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht diese zu,
      änderte aber den Beschluss des Verwaltungsgerichts und lehnte
      den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der
      aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs insgesamt ab. Es
      begründete dies wie folgt: 


5  


Auf Grund der dem Senat bekannten Eskalation
      der öffentlichen Auseinandersetzung um Betrieb bzw.
      Schließung des "Club 88", die mit einer ungewöhnlichen
      Emotionalisierung und Sensibilisierung weiter
      Bevölkerungskreise einhergegangen sei und zwischenzeitlich
      eine extreme Polarisierung der insoweit interessierten
      politisch aktiven Gruppierungen bewirkt habe, sei allen in
      diese Konfrontation involvierten Gruppen Mäßigung
      abzufordern. Die Anmeldung einer Versammlung mit dem vom
      Antragsteller gewählten Motto stelle eine gezielte
      Provokation der auf der anderen Seite des politischen
      Spektrums angesiedelten Kräfte dar, die Reaktionen - unter
      Umständen auch gewaltbereiter Gruppierungen - herausfordern
      müsse und nach Überzeugung des Senats auch solle. Bei solchen
      Gegebenheiten sei die Stadt berechtigt, der auf solche Weise
      seitens des Antragstellers bewusst und gewollt initiierten
      Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die er als
      "Zweckveranlasser" zu verantworten habe, durch die
      streitbefangene Verbotsverfügung entgegenzuwirken. Ergänzend
      bemerkte das Oberverwaltungsgericht, dass jede etwaige
      Versammlung jedenfalls mit einer weiteren Auflage
      hinsichtlich der von den Veranstaltungsteilnehmern
      einzuhaltenden Wegstrecke zu versehen wäre. Im Blick auf die
      von der Stadt dargestellte Kumulation genehmigter bzw.
      angemeldeter Veranstaltungen im zentralen Innenstadt- und
      Einkaufsbereich der Stadt Neumünster (dem Großflecken) -
      nämlich der Weinköste auf dem Großflecken sowie eines
      Straßenfestes in der unmittelbar benachbarten und
      kommunikativ in besonderer Weise angebundenen Lütjenstraße -
      und des entsprechenden Publikums- und Verkehrsaufkommens, sei
      ein Kundgebungsort Großflecken bzw. auch nur ein
      Streckenverlauf über eben diesen Großflecken keinesfalls
      polizeirechtlich verantwortbar. Nach Überzeugung des mit den
      örtlichen Verhältnissen vertrauten Senats wäre in dem
      fraglichen Innenstadtbereich allenfalls eine Streckenführung
      ab Esplanade über die
      Christianstraße/Parkstraße/Marienstraße/Brachenfelder Straße
      zum Parkplatz an der Rudolf-Weißmann-Straße in Betracht zu
      ziehen. 


6  


2. In seinem Antrag auf Erlass einer
      einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG rügt der
      Antragsteller eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen
      Rechte nach Art. 8 in Verbindung mit Art. 5 GG und begehrt in
      erster Linie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
      seines Widerspruchs. Mit Rücksicht auf die im rein
      summarischen Verfahren beschränkten Möglichkeiten beantragt
      er hilfsweise, den Rechtsschutz gegen die Verbotsverfügung
      der Stadt Neumünster in der Weise wieder herzustellen, dass
      von der von dem Oberverwaltungsgericht angezeigten
      alternativen Streckenführung Gebrauch gemacht werde. 

 

II. 


7  


Der zulässige Antrag auf Erlass einer
      einstweiligen Anordnung hat zum Teil Erfolg. 


8  


1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das
      Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch
      einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr
      schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder
      aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend
      geboten ist. Wegen der meist weit tragenden Folgen, die eine
      einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen
      Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen
      des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen
      (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; stRspr). Dabei haben die
      Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen
      Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht
      zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist
      sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich
      unbegründet. Bei offenem Ausgang des
      Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das
      Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden,
      wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die
      Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den
      Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte
      einstweilige Anordnung erlassen würde, der
      Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl.
      BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252
      <257 f.>; stRspr). Hierbei hat es mit Blick auf
      die einschlägigen Grundrechte sowohl der Bedeutung der
      jeweils betroffenen Schutzgüter als auch dem Grad der
      Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß möglicher
      Beeinträchtigungen Rechnung zu tragen. 


9  


2. Eine Verfassungsbeschwerde wäre weder
      unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es kann erst in
      einem Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden, ob die
      Einschätzung des Geschehensablaufs und die Gefahrenprognose,
      auf die die Entscheidungen der Behörde und der
      Verwaltungsgerichte gestützt worden sind, den Anforderungen
      von Art. 8 GG genügten (vgl. hierzu BVerfGE 69, 315
      <342 ff.>; 87, 399 <406 ff.>). 


10  


3. Die demnach gebotene Beurteilung und
      Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder
      Misserfolgs einer Verfassungsbeschwerde einträten, führt im
      vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe,
      die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen,
      die die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs begrenzt
      wieder herstellt. 


11  


a) Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des
      Verbots der Demonstration in vollem Umfang bestehen, hätte
      eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so wäre der
      Antragsteller um die Möglichkeit gebracht worden, von dem ihm
      zustehenden Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der
      gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte die Versammlung
      wie geplant stattfinden, erwiese sich eine
      Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, so wäre
      die Versammlung durchgeführt worden, obwohl von ihr
      erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und
      Ordnung ausgingen, die die Behörde zum Erlass der
      Verbotsverfügung berechtigt haben. 


12  


Im Zuge der anzustellenden Folgenabwägung ist
      es in Verfahren der vorliegenden Art für das
      Bundesverfassungsgericht regelmäßig ausgeschlossen, in eine
      eigenständige Ermittlung und Würdigung des dem
      Eilrechtsschutzbegehren zu Grunde liegenden Sachverhalts
      einzutreten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es - wie auch
      im vorliegenden Verfahren - bereits aus Zeitgründen
      ausscheidet, behördliche und fachgerichtliche Akten
      heranzuziehen sowie Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter
      einzuholen und diese auszuwerten. In Fällen dieser Art hat
      das Bundesverfassungsgericht seiner Abwägung in aller Regel
      die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den
      angegriffenen Entscheidungen zu Grunde zu legen (vgl. hierzu
      etwa BVerfGE 34, 211 <216>; 36, 37 <40>; BVerfG,
      EuGRZ 1997, S. 522). Anderes gilt nur dann, wenn die
      getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam
      sind oder die angestellte Tatsachenwürdigung unter
      Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm
      offensichtlich nicht trägt. Dies ist insbesondere der Fall,
      wenn die Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird, deren
      Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG
      offensichtlich widerspricht. 


13  


b) Vorliegend werden das Versammlungsverbot
      und die Anordnung seiner sofortigen Vollziehung durch die von
      der Versammlungsbehörde aufgeführten Gesichtspunkte nicht in
      vollem Ausmaß getragen. 


14  


aa) Soweit die Versammlungsbehörde die
      Verbotsverfügung auf die Prognose einer unmittelbaren
      Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die
      Versammlungsteilnehmer selbst gestützt hat, fehlt es an der
      Bezeichnung konkreter Tatsachen, die diese Prognose belegen.
      Dies ist von dem Verwaltungsgericht in nicht zu
      beanstandender Weise näher dargelegt worden. Das
      Oberverwaltungsgericht hat dem nichts entgegengesetzt. 


15  


bb) Auch die von der Versammlungsbehörde im
      Zusammenhang mit der angekündigten Gegendemonstration
      befürchteten Gewalttätigkeiten rechtfertigen das
      Versammlungsverbot nicht. 


16  


(1) Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf
      Versammlungen, so müssen sich behördliche Maßnahmen primär
      gegen die Störer richten (vgl. BVerfGE 69, 315
      <360 f.>). Mit Art. 8 GG wäre nicht zu
      vereinbaren, dass bereits mit der Anmeldung einer
      Gegendemonstration erreicht werden kann, dass dem
      Veranstalter der zuerst angemeldeten Versammlung die
      Möglichkeit genommen wird, sein Demonstrationsanliegen zu
      verwirklichen. Es ist Aufgabe der zum Schutz der
      rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in
      unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des
      Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die Versammlung als
      ganze darf in einer solchen Situation grundsätzlich nur unter
      den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes
      eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315
      <360 f.>). Unter Beachtung des
      Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Versammlungsbehörde
      insoweit auch prüfen, ob ein polizeilicher Notstand durch
      Modifikation der Versammlungsmodalitäten entfallen kann, ohne
      dadurch den konkreten Zweck der Versammlung zu vereiteln.
      Gibt es solche Möglichkeiten, dann ist dies auch für die
      Folgenabwägung im Rahmen des Eilverfahrens bedeutsam. Das
      Bundesverfassungsgericht darf Folgen nicht berücksichtigen,
      deren Eintritt bei entsprechenden hoheitlichen Vorgaben
      vermeidbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
      Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -). 


17  


Vorliegend hat zunächst das Verwaltungsgericht
      unter Beachtung dieser aus Art. 8 GG folgenden Grundsätze die
      aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers mit
      bestimmten Maßgaben wieder hergestellt, die auch nach
      Auffassung des Bundesverfassungsgerichts geboten und demgemäß
      in den Tenor der einstweiligen Anordnung mitaufgenommen
      worden sind. Soweit das Oberverwaltungsgericht unter Verweis
      auf seine eigene Ortskenntnis ergänzend auf die besondere
      Gefahrenlage im Zusammenhang mit der vorgesehenen Wegstrecke
      hinweist, legt es in keiner Weise dar, inwieweit die -
      nunmehr durch das Bundesverfassungsgericht der
      Versammlungsbehörde ermöglichte - Anordnung einer anderen
      Streckenführung nicht ausgereicht hätte, der Gefahr zu
      begegnen. Dies lag umso näher, als das Oberverwaltungsgericht
      selbst eine alternative Streckenführung erwogen hat. 


18  


(2) Das Oberverwaltungsgericht hat das
      Versammlungsverbot im Übrigen deshalb als berechtigt
      angesehen, weil die Anmeldung der Versammlung mit dem vom
      Antragsteller gewählten Motto unter den spezifischen
      örtlichen Gegebenheiten eine gezielte Provokation darstelle
      und er deshalb für die bewusst und gewollt initiierte Gefahr
      für die öffentliche Sicherheit als "Zweckveranlasser"
      verantwortlich sei. Im vorliegenden Zusammenhang braucht den
      Bedenken, die gegen den Einsatz der Rechtsfigur des
      Zweckveranlassers in einer Situation versammlungsrechtlicher
      Konfrontation von Versammlung und Gegendemonstration
      vorgebracht werden (siehe etwa Breitbach/Deiseroth/Rühl, in:
      Ridder u.a., Versammlungsrecht, 1992, § 15 Rn. 139;
      Herzog in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 1987, Art.
      8 Rn. 117 Fn. 114; a.A. Dietel/Gintzel/Kniesel,
      Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl., 2000,
      § 15 Rn. 31 m.w.N.) nicht nachgegangen zu werden. Selbst
      wenn die Figur des Zweckveranlassers versammlungsrechtlich
      herangezogen werden könnte, setzte ihre Anwendung doch
      konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass der vom
      Veranstalter angegebene Zweck nur Vorwand und die Provokation
      von Gegengewalt das eigentliche vom Veranstalter "objektiv"
      oder gar "subjektiv" bezweckte Vorhaben ist. Soweit die in
      der Versammlung geäußerten Inhalte in einer Demokratie trotz
      ihrer Missbilligung etwa durch die Mehrheit der Bevölkerung
      oder auch nur durch die Gegendemonstranten
      verfassungsrechtlich zu tolerieren sind, könnte die
      Zweckveranlassung als Begründung für die Störereigenschaft
      des Antragstellers nicht auf diese Inhalte gestützt werden.
      Vorauszusetzen wären vielmehr besondere, über den Inhalt
      hinausgehende provokative Begleitumstände, die sich jedoch
      dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts nicht entnehmen
      lassen. Scheitert ein Versammlungsverbot auf der Grundlage
      polizeilichen Notstands wie hier am Grundsatz der
      Verhältnismäßigkeit, weil es andere, den Veranstalter und die
      Teilnehmer der Versammlung weniger belastende Möglichkeiten
      zur Gefahrenabwehr gibt, dann kann es ohne solche
      provokativen Begleitumstände keinesfalls stattdessen auf die
      Rechtsfigur des Zweckveranlassers gestützt werden. 


19  


c) Bleiben daher die bei einer Modifikation
      der Versammlungsmodalitäten und dem Einsatz geeigneter
      polizeilicher Mittel vermeidbaren Gefahren für die
      öffentliche Sicherheit in der Folgenabwägung außer Betracht,
      überwiegen diejenigen Nachteile, die bei einer Sofortwirkung
      des Versammlungsverbots eintreten, solche Nachteile, die bei
      der Durchführung der Versammlung auch für den Fall zu
      erwarten sind, dass das Versammlungsverbot zu Recht ergangen
      ist. 


20  


4. Die Entscheidung über die Erstattung der
      Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG. 


   




 


Papier 
Steiner 
Hoffmann-Riem