Fall 24
Aktenzeichen: 1 BvQ 15/01
Beck Online: NJW 2001 1411.0

cid 24 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvQ 15/01 - 

 

In dem Verfahren 
      über 
      den Antrag, 


   




1. 
unter Abänderung der Beschlüsse des
          Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. März
          2001 - 11 MA 1128/01 - und des Verwaltungsgerichts
          Lüneburg vom 22. März 2001 - 7 B 11/01 - im Wege der
          einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des
          Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung der
          Bezirksregierung Lüneburg vom 10. März 2001 wieder
          herzustellen und 


2. 
der Bezirksregierung Lüneburg im Wege
          der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Teilnahme
          von Demonstranten an den von dem Antragsteller zu 1)
          angemeldeten Versammlungen am 27. März 2001 in Dannenberg
          (Aufzug vom Marktplatz über die Bahnhofstraße in Richtung
          Verladekran von 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr sowie
          Sandsackaktion auf der B 191/Breese M. von 21.00 Uhr bis
          24.00 Uhr) sowie der von dem Antragsteller zu 2)
          angemeldeten 20minütigen Mahnwache von 11.55 Uhr bis
          12.15 Uhr unter Berufung auf die im Antrag zu 1) genannte
          Allgemeinverfügung und die angefochtenen
          versammlungsrechtlichen Einzelverfügungen vom 23. März
          2001 zu be- oder verhindern. 




   




Antragsteller: 
1. Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg
          e.V., vertreten durch den Vorstand G..., S... und
          E..., 


 
2. Grüne Liste Wendland e.V., vertreten
          durch den Vorstand H..., 




   



        - Bevollmächtigte:
       

        Rechtsanwältin Karin Sehr, 
        Ferdinandstraße 47, 30175 Hannover -
       


   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
den Vizepräsidenten Papier 
      und die Richter Steiner, 
      Hoffmann-Riem 


   


gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit
      § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
      vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 26. März 2001
      einstimmig beschlossen: 


   


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung wird abgelehnt. 


   


Gründe: 


1  


Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Antrag
      auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Beschränkungen
      des Versammlungsrechts im Zusammenhang mit dem
      Castor-Transport nach Gorleben. 

 

I. 


2  


1. a) Die Deutsche Bahn Nuclear Cargo und
      Service GmbH Hanau ist auf Grund einer vollziehbaren
      Genehmigung des Bundesamtes für Strahlenschutz in Salzgitter
      vom 10. November 2000 gemäß § 4 des Atomgesetzes
      berechtigt, in der Zeit vom 26. März 2001 bis 8. April 2001
      radioaktive Abfälle nach Gorleben zu transportieren. Am 10.
      März 2001 machte die Bezirksregierung Lüneburg unter
      Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Allgemeinverfügung
      bekannt, wonach unter anderem alle öffentlichen Versammlungen
      unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 27. März
      2001 0.00 Uhr bis zum 8. April 2001 24.00 Uhr in einem im
      Einzelnen dargestellten Korridor untersagt wurden. Die
      Allgemeinverfügung wurde unter näherer Darlegung damit
      begründet, dass bei dem bevorstehenden Castor-Transport eine
      hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - Blockade
      von Abschnitten der Transportstrecke, Eingriffe in den Bahn-
      und Straßenverkehr, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen
      - bestehe. 


3  


b) Der Antragsteller zu 1) - eine
      Bürgerinitiative - beabsichtigt, am 27. März 2001 in
      Dannenberg in der Zeit von 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr einen
      Aufzug vom Marktplatz über die Bahnhofstraße in Richtung
      Verladekran durchzuführen, wobei die Strecke teilweise in den
      in der Allgemeinverfügung aufgeführten Korridor fällt.
      Darüber hinaus plant der Antragsteller zu 1) für denselben
      Tag von 21.00 Uhr bis 24.00 Uhr eine so genannte
      Sandsackaktion (Errichtung eines aus 17.000 Sandsäcken
      bestehenden Schutzwalles) auf einer Kreuzung innerhalb des
      Verbotskorridors. Der Antragsteller zu 2) - die Grüne Liste
      Wendland e.V. - beabsichtigt, am 27. März 2001 zwischen 11.55
      Uhr und 12.15 Uhr eine Mahnwache auf der Kreuzung B
      191/Breese-(Marsch)-Splitau durchzuführen. Auch diese
      Veranstaltung wird sowohl in zeitlicher als auch in
      räumlicher Hinsicht von der Allgemeinverfügung vom 10. März
      2001 erfasst. 


4  


c) Nach Einlegung eines Widerspruchs gegen die
      Allgemeinverfügung wandten sich die Antragsteller an die
      Verwaltungsgerichte mit dem Antrag auf Gewährung vorläufigen
      Rechtsschutzes. Durch Beschluss vom 22. März 2001 lehnte das
      Verwaltungsgericht den Antrag ab. Den Antrag auf Zulassung
      der Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht durch
      Beschluss vom 23. März 2001 im Wesentlichen mit der
      Begründung zurück, die von den Antragstellern geltend
      gemachte Divergenz liege nicht vor und aus dem Vortrag der
      Antragsteller ergäben sich auch keine ernstlichen Zweifel an
      der Richtigkeit des verwaltungsrechtlichen Beschlusses. 


5  


d) Durch Schreiben vom 23. März 2001
      bestätigte die Bezirksregierung Lüneburg dem Antragsteller zu
      1), dass die von ihm beabsichtigte Kundgebung auf dem
      Marktplatz Dannenberg stattfinden könne. Soweit sich die
      Anmeldung auf den Aufzug vom Marktplatz über die
      Bahnhofstraße in Richtung Verladekran beziehe, wurde der
      Aufzug unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt
      "bzw" das Versammlungsverbot aufrecht erhalten. Zur
      Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der geplante Aufzug
      ab der Kreuzung Bahnhofstraße/Am Ostbahnhof und Bellmannsfeld
      räumlich und zeitlich der Allgemeinverfügung unterfalle. Die
      öffentliche Sicherheit werde im Übrigen auch auf der Strecke
      bis zum Erreichen der durch die Allgemeinverfügung erlassenen
      Verbotszone unmittelbar gefährdet. Da der geplante Aufzug mit
      dem Erreichen des Verladekrans und damit der Korridorzone
      untrennbar verbunden sei, müsse die in der Allgemeinverfügung
      enthaltene Gefahrenprognose für den gesamten Aufzug gelten.
      Hinsichtlich der von dem Antragsteller zu 1) geplanten
      Sandsackaktion teilte die Bezirksregierung dem Antragsteller
      durch weiteres Schreiben vom 23. März 2001 mit, dass die
      angemeldete Versammlung verboten bleibe. Die sofortige
      Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet. Zur Begründung
      wurde darauf hingewiesen, dass die Versammlung für den
      Geltungsbereich der Allgemeinverfügung angemeldet worden sei
      und von dem Versammlungsverbot erfasst werde. Schließlich
      wurde der Antragsteller zu 2) durch Schreiben vom gleichen
      Tage darüber unterrichtet, dass die angemeldete Mahnwache
      untersagt bleibe. Die sofortige Vollziehung dieses Bescheides
      wurde angeordnet. Die Versammlung sei für den Geltungsbereich
      der Allgemeinverfügung angemeldet worden und werde von dem
      Versammlungsverbot erfasst. Auch der von dem Antragsteller zu
      2) im Rahmen der Anhörung angeführte Versammlungszweck, nicht
      nur gegen den Castor-Transport, sondern letztendlich gegen
      die Politik der "Grünen" zu protestieren, könne zu keiner
      anderen Wertung führen, da ein eindeutiger zeitlicher,
      örtlicher und inhaltlicher Bezug zum Castor-Transport gegeben
      sei. 


6  


e) Mit Schreiben vom 24.3.2001 hat der
      Antragsteller zu 1) der Bezirksregierung eine weitere
      Anmeldung für einen Aufzug mit anschließender Versammlung für
      den 27. März 2001 in der Zeit von 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr
      übersandt. Der Aufzug soll in Dannenberg vom Marktplatz zur
      so genannten Esso-Wiese führen, wo ein Schutzwall aus
      Sandsäcken errichtet werden soll. 


7  


2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer
      einstweiligen Anordnung wenden sich die Antragsteller gegen
      den von den Verwaltungsgerichten bestätigten Sofortvollzug
      der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 und der weiteren
      Verfügungen der Bezirksregierung Lüneburg, jeweils vom 23.
      März 2001. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass die
      angegriffenen Entscheidungen der Bezirksregierung und der
      Verwaltungsgerichte sie in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1
      GG sowie - im Hinblick auf die Entscheidung des
      Oberverwaltungsgerichts - Art. 19 Abs. 4 GG verletzten. Die
      Gefahrenprognose der Bezirksregierung sei einseitig, sie
      lasse in ihrer Allgemeinverfügung an keiner Stelle erkennen,
      dass sie sich mit den Gegenindizien auch nur auseinander
      gesetzt habe. Unrichtig sei zudem die Gefahrenprognose auch
      deshalb, weil die dortige Darstellung einseitig sei und nicht
      berücksichtige, dass es eine ungezählte Vielzahl friedlicher
      Veranstaltungen - gerade auch unter Teilnahme und Leitung des
      Antragstellers zu 1) - gebe. Im Übrigen handele es sich bei
      der Allgemeinverfügung um eine Tarnverfügung. Dies ergebe
      sich daraus, dass nicht nur ein Versammlungsverbot jeweils
      beiderseits 50 Meter um die Transportstrecke bestehe, sondern
      in einem Bereich von fünf Kilometern um die Transportstrecke
      immer wieder Versammlungen massiv behindert worden seien. 


8  


3. Die Bezirksregierung hat in ihrer
      Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht
      mitgeteilt, sie habe gegenüber dem Antragsteller zu 1) die
      Bereitschaft erklärt, dessen mit Schreiben vom 24.3.2001
      angemeldete Veranstaltung im Anschluss an die Kundgebung auf
      dem Marktplatz versammlungsrechtlich zu bestätigen. Der
      Antragsteller zu 1) wurde um Mitteilung gebeten, wo und wie
      viele Sandsäcke verwandt werden sollen und ob gewährleistet
      werde, dass diese nach der Veranstaltung auch umgehend wieder
      beseitigt würden. 

 

II. 


9  


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung hat keinen Erfolg. 


10  


1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das
      Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch
      einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr
      schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder
      aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend
      geboten ist. Bei - wie hier - offenem Ausgang eines noch
      möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das
      Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden,
      wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die
      Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den
      Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte
      einstweilige Anordnung erlassen würde, der
      Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl.
      BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252
      <257 f.>; stRspr). 


11  


2. Vorliegend führt die Abwägung zu einem
      Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer
      einstweiligen Anordnung sprechen. 


12  


a) Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit der
      Allgemeinverfügung sowie der angegriffenen Einzelverfügungen
      bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später
      Erfolg, wären die Antragsteller um die Möglichkeit gebracht
      worden, von dem ihnen zustehenden Grundrecht auf
      Versammlungsfreiheit zu den von ihnen gewünschten Zeitpunkten
      an den von ihnen vorgesehenen Orten Gebrauch zu machen. Dies
      bedeutet jedoch nicht, dass die Antragsteller Versammlungen
      zur Verfolgung der geplanten Versammlungszwecke in örtlicher
      Nähe des Castor-Transports verboten werden. Außerhalb des
      Korridors können sie die beabsichtigten Versammlungen
      durchführen, soweit die sonstigen versammlungsrechtlichen
      Voraussetzungen erfüllt sind. Sie werden durch die
      Verfügungen zwar in ihrem Versammlungsrecht beschränkt, indem
      ihnen bestimmte von ihnen gewünschte Modalitäten der
      Versammlungen verwehrt werden. Ihnen werden die
      beabsichtigten Versammlungen als solche aber nicht
      verboten. 


13  


Könnten in dem Transportkorridor Versammlungen
      allgemein und insbesondere die konkret geplanten
      Versammlungen stattfinden, erwiese sich eine
      Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, wären
      Versammlungen durchgeführt worden, obwohl mit ihnen nach der
      Einschätzung der Versammlungsbehörde erhebliche Gefahren für
      die öffentliche Sicherheit und Ordnung und gegebenenfalls
      Störungen verbunden wären. 


14  


b) Im Zuge der anzustellenden Abwägung der
      Folgen einer möglichen Entscheidung ist es in Verfahren der
      vorliegenden Art für das Bundesverfassungsgericht regelmäßig
      ausgeschlossen, in eine eigenständige Ermittlung und
      Würdigung des dem Eilrechtsschutzbegehren zu Grunde liegenden
      Sachverhalts einzutreten. Dies gilt insbesondere dann, wenn
      es - wie auch im vorliegenden Verfahren - bereits aus
      Zeitgründen ausscheidet, behördliche und fachgerichtliche
      Akten heranzuziehen sowie Stellungnahmen sämtlicher
      Beteiligten einzuholen und diese auszuwerten. In Fällen
      dieser Art hat das Bundesverfassungsgericht seiner Abwägung
      in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und
      Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu
      Grunde zu legen (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211
      <216>; 36, 37 <40>). Anderes gilt nur dann, wenn
      die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich
      fehlsam sind oder die angestellte Tatsachenwürdigung unter
      Berücksichtigung des Schutzgehalts der betroffenen
      Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt. Einstweiliger
      Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die
      Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird, deren
      Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG
      offensichtlich widerspricht oder wenn das für eine
      Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene
      Schutzgut und die angewandten Normen in rechtlicher Hinsicht
      die Einschränkung offensichtlich nicht tragen (vgl. BVerfG,
      1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 -
      1 BvQ 9/01 -). 


15  


3. Vorliegend ist die Argumentation der
      Versammlungsbehörde und der Gerichte unter Berücksichtigung
      des Art. 8 GG jedenfalls im Rahmen eines
      Eilrechtsschutzverfahrens in tatsächlicher und rechtlicher
      Hinsicht tragfähig. Dies gilt sowohl für die
      Allgemeinverfügung als auch für die angegriffenen
      Einzelverfügungen. 


16  


a) Die konkret von den Antragstellern
      geplanten Versammlungen sind von der Allgemeinverfügung
      erfasst. Im vorliegenden Verfahren bedarf keiner Klärung, ob
      die Allgemeinverfügung schon abschließende Regelungen für die
      jeweils durchzuführenden Versammlungen enthält und wie die
      auf die konkret angemeldeten Versammlungen bezogenen
      Verfügungen im Verhältnis zur Allgemeinverfügung stehen. Es
      ist im Rahmen des Eilrechtsschutzes verfassungsrechtlich
      jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn die aufschiebende
      Wirkung der auf die konkret angemeldeten Versammlungen
      bezogenen Verfügungen nicht hergestellt wird, soweit der
      entsprechende, auf die Allgemeinverfügung bezogene Antrag
      keinen Erfolg hat und die Antragsteller insoweit identische
      Rügen erheben. Auch besteht kein Anlass, dem Vorwurf der
      Antragsteller nachzugehen, die Allgemeinverfügung sei eine
      Tarnverfügung, die zum Anlass für Behinderungen von
      Versammlungen in einem Bereich von fünf Kilometern um die
      Transportstrecke dienen solle. Der Inhalt der
      Allgemeinverfügung ergibt keine Ermächtigung zu solchen
      Maßnahmen. 


17  


b) Die Allgemeinverfügung und die sie
      konkretisierenden Einzelverfügungen bauen auf der
      Einschätzung auf, die Durchführung von Versammlungen in dem
      von der Allgemeinverfügung erfassten Transportkorridor führe
      zu unmittelbaren Gefährdungen beziehungsweise Störungen der
      öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Gefährdet seien die
      Durchführbarkeit der Castor-Transporte durch Blockierung der
      Transportstrecke, aber auch die körperliche Unversehrtheit
      von Personen; ferner werden strafbewehrte Eingriffe in den
      Straßen- und Bahnverkehr sowie Beschädigungen von Sachen von
      erheblichem Wert befürchtet. Die entsprechenden Schutzgüter
      rechtfertigen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
      Verhältnismäßigkeit Beschränkungen der Versammlungsfreiheit
      nach Art. 8 Abs. 2 GG. 


18  


aa) Die Allgemeinverfügung verbietet nicht die
      Durchführung von Versammlungen zu den von den Antragstellern
      verfolgten Zwecken, beschränkt aber für einen bestimmten
      Zeitraum die Modalitäten der Durchführung solcher
      Versammlungen in örtlicher Hinsicht, begrenzt auf einen die
      Transportstrecke und den Verladeraum umrahmenden Korridor.
      Auf diese Weise wird das Recht zur Bestimmung des Orts einer
      Versammlung beschränkt. Dieses von der Versammlungsfreiheit
      miterfasste Bestimmungsrecht erlaubt dem Veranstalter,
      eigenständig zu konkretisieren, wie er sein
      Versammlungsinteresse umsetzen möchte. Kollidiert sein
      Grundrecht der Versammlungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern,
      steht ihm aber nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu,
      wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen
      sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt
      werden kann. Insoweit bleibt ihm die Möglichkeit, seine
      Vorstellungen im Zuge von Kooperationsgesprächen mit der
      Verwaltungsbehörde in das Verfahren einzubringen. Dies ist
      vorliegend geschehen und es ist nicht erkennbar, dass die
      Versammlungsbehörde die Vorstellungen der Antragsteller nicht
      in ihre Erwägungen einbezogen hat. Die anschließende
      Abwägung, ob und wieweit gegenläufige Interessen die
      Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt
      der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen
      Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BVerfG, 1. Kammer des
      Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -).
      Im Rahmen des Eilrechtsschutzes kann das
      Bundesverfassungsgericht nur prüfen, ob diese Abwägung
      offensichtlich fehlsam ist. 


19  


bb) Die Versammlungsbehörde hat ihre Verfügung
      nicht nur auf Situationen bezogen, in denen
      Rechtsgütergefährdungen von der Versammlung selbst ausgehen,
      sondern auch auf solche, in denen Dritte aus Anlass der
      Versammlung und gegebenenfalls parallel zu deren Zielsetzung,
      wenn auch hinsichtlich der konkreten Umstände möglicherweise
      ohne Billigung durch den Veranstalter und Leiter der
      Versammlung, zu Störern werden. Aus verfassungsrechtlicher
      Sicht ist die Anwendung der Grundsätze polizeilichen
      Notstands in solchen Situationen im Grundsatz nicht zu
      beanstanden. Diese Rechtsfigur setzt voraus, dass die Gefahr
      auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere
      Weise nicht beseitigt werden können und die
      Verwaltungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell
      durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte
      verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen. Soweit
      Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der
      angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die
      Behörde zunächst gegen jene vorzugehen. 


20  


Dementsprechend hat sie das Verbot in der
      Allgemeinverfügung auf unangemeldete Versammlungen erstreckt
      und damit auch gemeinschaftliche Aktionen Dritter verboten,
      die in eigenständiger Weise bei Gelegenheit der angemeldeten
      Versammlung demonstrieren oder gar darüber hinausgehende
      Zwecke verfolgen und Rechtsgüter Dritter verletzen wollen.
      Die Reichweite des Verbots umfasst auch Aktionen, die
      ungeplant und unaufschiebbar auf unvorhergesehene Ereignisse
      reagieren und deshalb möglicherweise den Charakter einer
      versammlungsrechtlich nicht verbotenen Spontan- oder
      Eilversammlung haben. Zugleich hat die Behörde durch
      Hinzuziehen des Bundesgrenzschutzes und einer großen Zahl von
      Polizeikräften anderer Bundesländer zu ermöglichen versucht,
      dass sie gegen jedwede Störer vorgehen kann. Da eine lange
      Transportstrecke zu überwachen ist und eine große Zahl von
      Demonstranten erwartet wird, von denen ein erheblicher Teil
      nach der nicht offensichtlich fehlsamen Einschätzung der
      Behörde auch zu gewaltsamen Aktionen bereit ist, muss eine
      sehr komplexe polizeiliche Aufgabe bewältigt werden. Es liegt
      in der Entscheidung der Verwaltungsbehörde, wie sie die
      Aufgabe konkret bewältigt, insbesondere welche und wie viele
      Kräfte sie jeweils an den verschiedenen Teilen der
      Transportstrecke einzusetzen vermag. Das Gebot, vor der
      Inanspruchnahme von Nichtstörern eigene Kräfte gegen die
      Störer einzusetzen, steht unter dem Vorbehalt der
      Verfügbarkeit solcher Kräfte. Es ist verfassungsrechtlich
      nicht zu beanstanden, wenn die Behörde Verfügungen, die
      einschränkend auf die Modalitäten der
      Versammlungsdurchführung einwirken, auch an dem Ziel
      orientiert, den polizeilichen Schutzauftrag umfassend
      wahrzunehmen und trotz der unausweichlichen Beschränkung
      dafür verfügbarer Kräfte und Mittel wirksam zu erfüllen. 


21  


cc) Das rechtliche Gebot, vor der
      Inanspruchnahme von Nichtstörern eigene Mittel einzusetzen,
      erweitert sich im Bereich von Versammlungen nicht etwa zu dem
      Gebot, Gefahren, die von der Versammlung selbst ausgehen,
      zunächst mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen, bevor
      beschränkende Verwaltungsmaßnahmen gegen die Versammlung
      ergriffen werden dürfen. Im Ausgangspunkt verfehlt ist daher
      die Auffassung des Antragsteller zu 1), die
      Versammlungsbehörde habe eine Aktion wie die Sandsackaktion
      hinzunehmen, da es der Behörde ein Leichtes sei, die den
      Transportweg blockierenden Sandsäcke später wieder beiseite
      zu räumen. Gefahren, die von der Versammlung selbst ausgehen,
      dürfen durch Maßnahmen gegen sie und ihre Teilnehmer
      abgewehrt werden. Soweit die Sandsackaktion allerdings
      außerhalb des von der Allgemeinverfügung erfassten Korridors
      stattfinden soll, ist sie nicht Gegenstand dieses
      Eilrechtsverfahrens. Insofern hat die Versammlungsbehörde im
      Übrigen dem Antragsteller zu 1) mitgeteilt, dass sie insoweit
      eine inzwischen neu angemeldete Versammlung bestätigen werde.
      Damit fehlt es insoweit an einem Rechtsschutzinteresse im
      vorliegenden Verfahren. Es ist auch nicht zu beanstanden,
      wenn die Versammlungsbehörde von den für die Versammlung
      Verantwortlichen erwartet, dass die Sandsäcke nach der
      Versammlung auch wieder beseitigt werden. 


22  


dd) Die Einschätzung der Behörde, das zeitlich
      und örtlich beschränkte Verbot sei zur Gefahrenabwehr
      geeignet und erforderlich, ist nicht offensichtlich fehlsam.
      Die Behörde hat ihre Verfügung zeitlich auf die
      Transportphase und örtlich auf einen ca. 100 Meter breiten
      und damit relativ schmalen Korridor neben der
      Transportstrecke und an besonders sensiblen Orten
      (Verladestation, Eingang des Zwischenlagers) auf eine Fläche
      mit einem Durchmesser von etwa 500 Meter beschränkt. Zugleich
      hat sie angekündigt, räumlich bestimmte Flächenabschnitte
      freizugeben, wenn diese nicht mehr für den Transport benötigt
      werden. 


23  


Die Angemessenheit dieser Beschränkung hat sie
      unter Hinweis darauf begründet, der beabsichtigte Protest
      könne in Form von Meinungsäußerungen und Versammlungen
      außerhalb dieses Korridors weiter verfolgt werden. Diese
      Ausführungen sind nicht offensichtlich fehlsam. Auch bei der
      Beurteilung der Angemessenheit einer beschränkenden Maßnahme
      wird bedeutsam, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
      (Art. 8 GG) - wie auch das Grundrecht auf
      Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG) - ein
      Selbstbestimmungsrecht über die Art der kommunikativen
      Äußerung nicht schützt, soweit durch sie Rechtsgüter anderer
      beeinträchtigt werden. Diese Beschränkung betrifft auch die
      Verwirklichung des von Art. 5 und 8 GG grundsätzlich
      miterfassten Anliegens, mit der Äußerung Aufmerksamkeit bei
      Anwesenden und in den Medien zu erzielen. Die Verlagerung von
      Demonstrationen in einen in Sicht- und Hörweite des Korridors
      gelegenen Bereich führt nicht dazu, dass der kommunikative
      Zweck der Versammlung notwendig verfehlt oder auch nur
      erheblich beeinträchtigt wird. 


24  


Es ist Veranstaltern einer Versammlung auch
      zumutbar, bei deren Planung auf den in der Allgemeinverfügung
      beschriebenen Korridor Rücksicht zu nehmen und insbesondere
      einen Verlauf des Aufzugs zu vermeiden, der räumlich sowohl
      in dem Korridor als auch außerhalb liegt. Soweit die von den
      Antragstellern angemeldete Versammlungen dies nicht
      berücksichtigen, besteht kein Anlass, die aufschiebende
      Wirkung jedenfalls für die Durchführung der Versammlung in
      dem Bereich außerhalb des Korridors wieder herzustellen. Es
      steht den Antragstellern frei, Anmeldungen für Versammlungen
      außerhalb des Korridors vorzunehmen, wie der Antragsteller zu
      1) es hinsichtlich der Sandsackaktion zwischenzeitlich getan
      hat. 


25  


4. Unter Zugrundelegung der Folgen, die nach
      der behördlichen Gefahrenprognose eintreten könnten, wenn die
      geplanten Versammlungen wie von den Antragstellern beantragt,
      stattfänden, ist von einem Überwiegen derjenigen Nachteile
      auszugehen, die bei der Durchführung der Versammlung zu
      erwarten sind. 


26  


Diese Entscheidung ist unanfechtbar. 


   




Papier 
Steiner 
Hoffmann-Riem