Fall 52
Aktenzeichen: 1 BvR 1090/06
Beck Online: NVwZ 2007 1180.0

cid 52 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 1090/06 - 

 

 

 

Im Namen des Volkes 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   


des Herrn B... 


   





gegen
          a) 

den Beschluss des
          Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2006
          - 2 Ss 314/05 -, 



b) 

das Urteil des Landgerichts
          Gießen vom 3. Mai 2005
          - 3 Ns 501 Js 19696/02 -, 



c) 

das Urteil des Amtsgerichts
          Gießen vom 15. Dezember 2003
          - 5406 Ds 501 Js 19696/02 - 




   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
den Präsidenten Papier, 
      die Richterin Hohmann-Dennhardt 
      und den Richter Hoffmann-Riem 


   


gemäß § 93 b Satz 1 in Verbindung mit
      § 93 a Abs. 2 Buchstabe b und
      § 93 c BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
      vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
      am 30. April 2007 einstimmig beschlossen: 


   



Der Beschluss des Oberlandesgerichts
        Frankfurt am Main vom 16. März 2006
        - 2 Ss 314/05 -, das Urteil des
        Landgerichts Gießen vom 3. Mai 2005
        - 3 Ns 501 Js 19696/02 - und
        das Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 15. Dezember 2003
        - 5406 Ds 501 Js 19696/02 -
        verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus
        Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er
        aus Anlass des Geschehens am 11. Januar 2003 wegen
        Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit
        gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Das
        Urteil des Landgerichts Gießen vom 3. Mai 2005
        - 3 Ns 501 Js 19696/02 - und
        der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
        16. März 2006 - 2 Ss 314/05 –
        werden insoweit aufgehoben.
                             Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an
        das Landgericht Gießen zurückverwiesen.
                             Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde
        nicht zur Entscheidung angenommen.
                             Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer
        seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
                          


   


Gründe: 


1  


Die Verfassungsbeschwerde betrifft in erster
      Linie eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Widerstands
      gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher
      Körperverletzung; der Beschwerdeführer hatte sich gegen die
      Festnahme und den Abtransport aus einer Versammlung unter
      anderem mittels eines Fußtritts zur Wehr gesetzt. 

 

A. 

 

I. 


2  


1. Der Beschwerdeführer tritt als Wahlgegner,
      Gegner des herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
      und Anarchist für eine herrschaftsfreie Gesellschaft ein. Er
      ist langjähriges Mitglied der so genannten Projektwerkstatt
      in Saasen (Hessen). Im Bundestagswahlkampf 2002 verunstaltete
      er mit seinen Mitstreitern Wahlplakate durch Aufkleber.
      Deswegen sowie wegen des Verdachts anderer den Wahlkampf
      störender Aktivitäten wurde die "Projektwerkstatt" am 10.
      Januar 2003 durchsucht. Die Polizei beschlagnahmte unter
      anderem dort benutzte Computer. Das Landgericht Gießen
      erklärte die Durchsuchungsanordnung mit rechtskräftigem
      Beschluss vom 26. Februar 2003 – Qs 44/03 –
      für rechtswidrig. Die Anordnung einer Durchsuchung und die
      Sicherstellung sämtlicher Computer einschließlich Zubehör
      seien unverhältnismäßig gewesen. 


3  


An dem Tag nach der Durchsuchung, dem
      11. Januar 2003, fand in der Fußgängerzone der Gießener
      Innenstadt eine Wahlveranstaltung der CDU statt. Anwesend
      waren unter anderem der Hessische Innenminister sowie der
      Polizeipräsident Gießens. Es waren ein Stand mit
      Informationsmaterial und einige Stehtische aufgestellt
      worden. Mit etwa zehn bis zwölf weiteren Personen begab sich
      der Beschwerdeführer in die Nähe dieses Wahlstandes, um eine
      Aktion durchzuführen. Die Gruppe war mit einem Megaphon und
      einem Transparent mit der Aufschrift "Freiheit stirbt mit
      Sicherheit" ausgerüstet. Während die Begleiter des
      Beschwerdeführers das Transparent ausbreiteten, begann der
      Beschwerdeführer mit einer Ansprache durch das Megaphon.
      Darin prangerte er nach seiner Auffassung rechtswidrige
      Übergriffe der Polizei an und stellte die Durchsuchung der
      "Projektwerkstatt" als einen unerhörten, rechtswidrigen
      Übergriff staatlicher Gewalt dar. Dabei stand er etwa zehn
      bis zwölf Meter vor dem Wahlstand und sprach in Richtung des
      Stands sowie der sich dort aufhaltenden Personen. Er sprach
      insgesamt mindestens zehn Minuten lang. 


4  


Nach den landgerichtlichen Feststellungen, die
      insofern im Wesentlichen mit denen des Amtsgerichts
      übereinstimmen, hatten der Hessische Innenminister und der
      Gießener Polizeipräsident dem Einsatzleiter der Polizei
      mitgeteilt, dass man sich "das" - gemeint sei die Aktion
      des Beschwerdeführers gewesen - nicht bieten lassen
      wolle. Der Einsatzleiter habe Verstärkung herbeigerufen. Als
      etwa acht bis neun weitere Beamte eingetroffen gewesen seien,
      habe der Einsatzleiter "das Tun des Beschwerdeführers und
      seiner Begleiter beenden" wollen. Der Einsatzleiter sei
      zusammen mit weiteren Polizeibeamten an den Beschwerdeführer
      herangetreten. Dieser habe sofort gewusst, dass er aufhören
      und am besten mit seinen Mitstreitern habe weggehen sollen.
      Der Beschwerdeführer habe jedoch mit beiden Händen und
      Unterarmen das Megaphon umklammert. Mit der Androhung, es
      werde dem Beschwerdeführer abgenommen, wenn er es nicht
      freiwillig herausgebe, habe der Einsatzleiter nach dem
      Megaphon gegriffen. Da es nicht gelungen sei, dem
      Beschwerdeführer das Megaphon abzunehmen, habe der
      Einsatzleiter dem Beschwerdeführer erklärt, dieser werde in
      Gewahrsam genommen, wenn er weiter die Herausgabe verweigere.
      Nachdem auch diese Androhung erfolglos geblieben sei, hätten
      der Einsatzleiter und ein weiterer Beamter den
      Beschwerdeführer an den Oberarmen ergriffen, um ihn zu einem
      unweit abgestellten Polizeifahrzeug zu bringen, das ihn zur
      zuständigen Polizeistation habe transportieren sollen. Aus
      dieser Situation hätten sich sodann tumultartige Szenen
      entwickelt. Verschiedene Begleiter des Beschwerdeführers
      hätten dabei von der Seite oder von hinten nach den
      Polizeibeamten gegriffen, um sie vom Beschwerdeführer
      wegzuziehen. Dies wiederum hätten weitere Beamte zu
      verhindern versucht, um den Abtransport des Beschwerdeführers
      sicherzustellen. Zuletzt hätten drei bis vier Beamte den
      Beschwerdeführer zu einem Polizeifahrzeug gezogen und
      getragen. 


5  


Vor der Schiebetür des Polizeiwagens hätten
      die Beamten den Beschwerdeführer auf die Straße gesetzt. Der
      Einsatzleiter habe den Beschwerdeführer zum Einsteigen
      aufgefordert. Da der Beschwerdeführer dies verweigert habe,
      sei er angehoben und in das Fahrzeug geschoben und gezogen
      worden, wobei der Einsatzleiter die Füße des
      Beschwerdeführers gepackt habe. Dieser habe eine
      Abwehrbewegung mit dem Bein in Richtung des Kopfes des
      Einsatzleiters gemacht, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass
      er schwere, halbhohe Schnürstiefel angehabt habe, deren
      Sohlen vorn mit einem Eisen verstärkt gewesen seien, und
      obwohl er gesehen habe, dass der etwas gebückte Einsatzleiter
      mit seinem Gesicht in der Nähe seiner Füße gewesen sei. Der
      Beschwerdeführer habe den Einsatzleiter, freilich nicht mit
      großer Wucht, aber doch schmerzhaft, mit der Schuhspitze in
      der Mitte der Stirn getroffen. Dieser habe sich kurz an die
      schmerzende Stirn gelangt, jedoch sogleich wieder den Fuß des
      Beschwerdeführers ergriffen und ihn unter Mithilfe zweier
      weiterer Beamter anschließend in das Fahrzeug gebracht. Der
      Beschwerdeführer sei bis zum Schluss der
      Informationsveranstaltung der CDU in Polizeigewahrsam
      gehalten worden. Noch am gleichen Nachmittag habe der
      Einsatzleiter eine Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer
      gestellt, unter anderem wegen gefährlicher
      Körperverletzung. 


6  


2. Das Amtsgericht verurteilte den
      Beschwerdeführer wegen dieser Vorgänge mit dem angegriffenen
      Urteil wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in
      Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
      Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Die Strafe wurde mit den
      für weitere mitangeklagte Taten verhängten Strafen zu einer
      Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten zusammengefasst. Die
      Vollstreckung der Strafe wurde nicht zur Bewährung
      ausgesetzt. 


7  


Die Diensthandlung des Einsatzleiters, die
      Ingewahrsamnahme durch Verbringung zum Polizeibus, sei
      rechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe eine
      angemeldete Wahlveranstaltung durch lautstarke Ansagen
      mittels Megaphon gestört. Dies habe durch die Polizei mit den
      von ihr gewählten Mitteln unterbunden werden dürfen. 


8  


3. Auf die Berufung des Beschwerdeführers hob
      das Landgericht mit dem gleichfalls angegriffenen Urteil das
      Urteil des Amtsgerichts – wegen Mängeln der Verurteilung
      hinsichtlich anderer mitangeklagter Taten - auf und
      verurteilte den Beschwerdeführer zu einer
      Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten. Wegen des Fußtrittes
      am 11. Januar 2003 setzte auch das Landgericht eine
      Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Widerstands gegen
      Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher
      Körperverletzung fest. Die Vollstreckung der Strafe setzte
      das Landgericht ebenfalls nicht zur Bewährung aus. 


9  


Der Beschwerdeführer habe in dem Bewusstsein
      der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen gehandelt. Es
      habe auf der Hand gelegen, dass eine genehmigte
      Wahlveranstaltung, zumindest nach allgemeinem Polizeirecht,
      nicht minutenlang durch Lautsprecherdurchsagen aus kurzer
      Entfernung beeinträchtigt werden dürfe. Die von dem
      Einsatzleiter vorgenommene Diensthandlung sei im Sinne von
      § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig gewesen. Der
      Einsatzleiter sei zuständig gewesen. Bei der gegebenen
      Sachlage habe er sich angesichts der ihm zur Verfügung
      stehenden Erkenntnisquellen zu Recht zum Einschreiten
      entschlossen. Ob dabei die Wünsche des Innenministers und des
      Polizeipräsidenten eine Rolle gespielt hätten, sei daher ohne
      Belang gewesen. Das Verlangen, das Megaphon herauszugeben,
      sei nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung der Lage
      durch den Einsatzleiter auch notwendig gewesen, um weitere
      Durchsagen zu unterbinden. Da sich der Beschwerdeführer allem
      widersetzt habe, seien auch seine Festnahme und der
      Abtransport zum Polizeiwagen rechtmäßig gewesen. 


10  


4. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf
      das Oberlandesgericht mit dem gleichfalls angegriffenen
      Beschluss mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Höhe
      eines jeden Tagessatzes für die verhängten Einzelgeldstrafen
      auf 1 Euro festgesetzt wurde. Im Rahmen der
      Sachverhaltsdarstellung führte das Oberlandesgericht unter
      anderem aus, eine Genehmigung nach dem Versammlungsgesetz
      habe für die Versammlung des Beschwerdeführers und etwa zwölf
      weiterer Personen am 11. Januar 2003 nicht vorgelegen. 


11  


5. Die Kammer hat die Vollstreckung der
      Freiheitsstrafe aus dem landgerichtlichen Urteil auf Antrag
      des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 17. Mai 2006
      durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt.
      Diese wurde mit Beschluss vom 6. November 2006
      wiederholt. 


12  


6. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner
      Verfassungsbeschwerde in erster Linie eine Verletzung seines
      Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8
      Abs. 1 GG. 


13  


Die Verurteilung wegen Widerstands gegen
      Vollstreckungsbeamte verletze Art. 8 GG, weil die
      Strafgerichte dabei einen offensichtlich rechtswidrigen
      Polizeiangriff auf eine Versammlung als rechtmäßig bewertet
      hätten. Gemäß § 113 Abs. 3 StGB sei die Tat nicht
      nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung
      nicht rechtmäßig sei. Der Polizeieinsatz einschließlich
      seiner Festnahme im Moment einer Rede auf der Demonstration
      habe gegen Art. 8 GG verstoßen. Die spontane Versammlung
      sei eine Reaktion auf die Hausdurchsuchung mit umfangreichen
      Beschlagnahmen am 10. Januar 2003 gewesen. Die Aussage
      des Oberlandesgerichts, eine Genehmigung nach dem
      Versammlungsgesetz habe nicht vorgelegen, sei offensichtlich
      rechtsfehlerhaft, weil für eine Versammlung eine Genehmigung
      nicht notwendig sei. Es habe an einer formgültigen Auflösung
      der Versammlung gefehlt. Vor einer solchen Auflösung sei die
      Anwendung direkter Polizeigewalt gegen ihn als Redner einer
      Demonstration unzulässig. Für eine Gewahrsamnahme des
      Teilnehmers einer nicht aufgelösten Versammlung fehle es an
      einer Rechtsgrundlage. Auch seien die rechtfertigenden
      Voraussetzungen für eine Versammlungsauflösung nicht gegeben
      gewesen. Von der Demonstration sei keine Gefahr ausgegangen.
      Die von der Polizei geltend gemachte Lärmbelästigung betreffe
      ein nachrangiges Schutzgut. Das Interesse eines
      CDU-Wahlstandes vor Ruhestörung durch eine zehn Minuten lange
      Rede sei nicht als höherrangig einzustufen als das Recht auf
      freie Versammlung. Die vermeintliche Lärmbelästigung sei aber
      jedenfalls kein Grund, ohne Vorwarnung, Auflösung oder
      dergleichen sofort eine zwangsweise Zerschlagung der
      Demonstration durchzuführen. 


14  


7. Ferner rügt der Beschwerdeführer die
      Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, die darin liege, dass
      das Amts- und Landgericht die Aussagen der Polizei und einer
      Politikerin als glaubwürdig anerkannt hätten, während die
      entlastenden Aussagen von Zeugen als unglaubwürdig behandelt
      worden seien. Auch verletze die weitere Verurteilung wegen
      Beleidigung einer Oberbürgermeisterkandidatin den
      Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1
      Satz 1 und Abs. 3 GG. 

 

II. 


15  


Gelegenheit zur Stellungnahme haben die
      Hessische Landesregierung, der Bundesgerichtshof sowie das
      Bundesverwaltungsgericht erhalten. Die Hessische
      Landesregierung und der Bundesgerichtshof haben von einer
      Stellungnahme abgesehen. Der 6. Revisionssenat des
      Bundesverwaltungsgerichts verweist unter anderem auf seinen
      Beschluss vom 14. Januar 1987 - BVerwG 1 B
      219.86 -, NVwZ 1988, S. 250, wonach die zuständige
      Behörde in den Fällen, in denen die Auflösung einer
      Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG als
      unverhältnismäßig ausscheide, ein milderes und angesichts der
      konkreten Sachlage angemessenes Mittel zur Abwehr der von der
      Veranstaltung ausgehenden unmittelbaren Gefahr einsetzen und
      hierbei gegebenenfalls von den ihr landesrechtlich
      zustehenden Befugnissen Gebrauch machen könne. 

 

B. 

 

I. 


16  


Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist
      gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG zur Durchsetzung
      der Rechte des Beschwerdeführers insoweit angezeigt, als er
      eine Verletzung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit
      aus Art. 8 Abs. 1 GG durch die angegriffenen
      Entscheidungen - soweit sie das Verhalten am 11. Januar
      2003 betreffen - rügt. 


17  


Die für die Beurteilung der
      Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen
      Fragen zur Versammlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 69, 315
      <342 ff.>; 84, 203 <209 ff.>; 104, 92
      <103 ff.>; 111, 147 ff.; BVerfGK 4, 154
      <157 ff.>) hat das Bundesverfassungsgericht
      bereits entschieden. Der Verfassungsbeschwerde gegen die
      Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
      (§ 113 Abs. 1 StGB) ist gemäß § 93 c
      Abs. 1 Satz 1 BVerfGG stattzugeben. 


18  


1. Dem Beschwerdeführer stand der Schutz der
      Versammlungsfreiheit zu. 


19  


a) Die vom Beschwerdeführer aus Protest gegen
      die Durchsuchung der "Projektwerkstatt" initiierte
      Veranstaltung am 11. Januar 2003 war eine örtliche
      Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf
      die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten
      Erörterung oder Kundgebung und damit eine Versammlung (vgl.
      BVerfGE 104, 92 <104>). Der Schutz des Grundrechts
      besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig
      und angemeldet war (vgl. BVerfGK 4, 154 <158>).
      Insofern bedarf es vorliegend keiner Klärung, ob die
      Voraussetzungen einer Spontan- oder Eilversammlung erfüllt
      waren. Die Versammlung fiel auch nicht deshalb aus dem
      Gewährleistungsbereich des Art. 8 GG heraus, weil durch
      den Einsatz des Megaphons die Wahlveranstaltung der CDU
      gestört wurde. Zwar können auch Rechtsgutverletzungen oder
      -gefährdungen, die aus einem Verhalten im Schutzbereich der
      Versammlungsfreiheit herrühren, im Rahmen der die
      Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 2 GG
      beschränkenden Gesetze abgewehrt werden. Der Schutz der
      Versammlungsfreiheit wird dadurch jedoch nicht beseitigt. 


20  


Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob
      der Informationsstand ebenfalls eine Versammlung war (vgl. VG
      Berlin, Urteil vom 8. März 2006 – 1 A 129.03 -, JURIS,
      Rn. 23 ff., m.w.N.). Ebenso ist nicht
      entscheidungserheblich, ob oder unter welchen Umständen
      Versammlungen unter freiem Himmel den Schutz des Art. 8
      GG verlieren können, wenn sie ausschließlich die Verhinderung
      einer anderen Versammlung bezwecken (vgl. BVerfGE 84, 203
      <209 ff.>; VG Berlin, Urteil vom 23. Februar 2005
      - 1 A 188.02 -, JURIS, Rn. 19 ff.). Denn die
      Gerichte haben vorliegend bereits nicht festgestellt, dass es
      dem Beschwerdeführer mit seiner Versammlung darum gegangen
      wäre, die Wahlveranstaltung durch seine Einwirkung zu
      verhindern. 


21  


b) Der auf das Recht, sich "friedlich und ohne
      Waffen" zu versammeln, bezogene Schutz durch Art. 8 GG
      entfiel vorliegend nicht wegen Unfriedlichkeit der
      Versammlung oder eines unfriedlichen Verhaltens des
      Beschwerdeführers. 


22  


aa) Es kann dahinstehen, ob die Versuche
      einiger der Teilnehmer der Versammlung, den Abtransport des
      Beschwerdeführers zu verhindern, für sich genommen die Grenze
      zur Unfriedlichkeit überschritten. Jedenfalls war im
      Zeitpunkt des Beginns der gegen den Beschwerdeführer
      gerichteten Maßnahmen, auf deren Rechtmäßigkeit es vorliegend
      ankommt, nicht damit zu rechnen, dass die Demonstration einen
      gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nehmen würde oder
      dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf
      angestrebt oder gebilligt hätten. Im Übrigen bleibt der
      Schutz der Versammlungsfreiheit grundsätzlich erhalten, wenn
      nur einzelne Demonstranten oder eine Minderheit im Verlauf
      der Versammlung Ausschreitungen begehen (vgl. BVerfGE 69, 315
      <361>). 


23  


bb) Der Beschwerdeführer selbst überschritt
      die Schwelle zur Unfriedlichkeit nicht dadurch, dass er das
      Megaphon umklammert hielt und sich gegen seinen Abtransport
      zum Polizeifahrzeug sträubte. Dadurch wollte er seinen Willen
      zur weiteren Teilnahme an der Versammlung durchsetzen, nicht
      aber den Charakter der bis dahin friedlichen Versammlung oder
      seiner auf die Erfüllung des Versammlungszwecks gerichteten
      Handlungen ändern. 


24  


cc) Mit seinem Fußtritt beging der
      Beschwerdeführer allerdings im Zuge seines schon zuvor
      begründeten Widerstands eine Gewalttätigkeit gegen den
      Einsatzleiter, der ihn aus der Versammlung entfernen wollte
      und im Zeitpunkt des Tritts schon entfernt hatte. Die
      Tätlichkeit war eine Reaktion auf die nach Auffassung des
      Beschwerdeführers rechtswidrige Maßnahme des Polizeibeamten
      und stand mit dem Zweck der Versammlung als solcher oder der
      Art ihrer beabsichtigten Durchführung in keinem inhaltlichen
      Zusammenhang. 


25  


2. Die polizeiliche Maßnahme, auf deren
      Rechtmäßigkeit es nach § 113 Abs. 3 StGB ankommt,
      war auf die Entfernung des Beschwerdeführers aus der
      Versammlung gerichtet und stellte daher einen Eingriff in
      dessen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar. Die hier
      allein angegriffene strafrechtliche Verurteilung des
      Beschwerdeführers wegen des gegen die Entfernung aus der
      Versammlung gerichteten Widerstands bewirkte einen
      eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Dieser
      Eingriff war nicht gerechtfertigt. 


26  


Dabei ist es grundsätzlich
      verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die
      Fachgerichte im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB von
      einem eingeschränkten Rechtmäßigkeitsmaßstab ausgehen und
      nicht verlangen, dass alle in dem jeweiligen in Bezug
      genommenen Rechtsgebiet normierten Anforderungen an die
      Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erfüllt sein müssen (zum
      Stand der strafrechtlichen Diskussion vgl. Tröndle/Fischer,
      Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007, Rn. 9 ff. zu
      § 113 m.w.N.). Soweit es sich um Maßnahmen im
      Schutzbereich eines Grundrechts, hier der
      Versammlungsfreiheit, handelt, dürfen strafrechtliche
      Sanktionen allerdings nur unter Berücksichtigung des
      Schutzgehalts des Grundrechts verhängt werden. Dem haben die
      Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen nicht
      hinreichend Rechnung getragen. Die gegen den Beschwerdeführer
      gerichteten polizeilichen Maßnahmen erfüllten nicht die von
      § 113 Abs. 3 StGB bei verfassungsgemäßer Auslegung und
      Anwendung des so genannten strafrechtlichen
      Rechtmäßigkeitsbegriffes vorausgesetzten Anforderungen an die
      Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung. 


27  


a) Durch die Strafbewehrung einer unter
      Einsatz von Gewalt oder der Drohung mit ihr erfolgenden
      Widerstandshandlung (§ 113 Abs. 1 StGB) soll der
      rechtliche Schutz der Amtsträger verstärkt werden, die bei
      Vollstreckungsmaßnahmen besonderen Gefahren durch Gegenwehr
      ausgesetzt sind. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich,
      bedeutet aber nicht, dass Rechtsfehler der Amtshandlung in
      jeder Hinsicht bei der Anwendung des § 113 Abs. 2 StGB
      unbeachtlich sind. 


28  


aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bei der
      Bestimmung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die
      Bewertung einer Verwaltungsmaßnahme als rechtmäßig zwischen
      der verwaltungsrechtlichen Durchsetzbarkeit einer Anordnung
      in der konkreten Handlungssituation und der nachträglichen
      Ahndung einer Widersetzlichkeit in der Sanktionssituation
      unterschieden (vgl. BVerfGE 87, 399 <410>). 


29  


(1) Die Notwendigkeit umgehenden behördlichen
      Einschreitens kann in der der Sanktion vorhergehenden
      Handlungssituation eine Pflicht der Bürger zur Befolgung
      einer wirksamen, wenn auch gegebenenfalls rechtswidrigen
      Diensthandlung rechtfertigen. Der Betroffene hat die
      Amtshandlung dann grundsätzlich hinzunehmen und kann
      allenfalls nachträglich eine Feststellung der
      Rechtswidrigkeit der Maßnahme erreichen (vgl. BVerfGE 92, 191
      <201>). 


30  


(2) Hinsichtlich der Möglichkeit
      nachträglicher Ahndung entnimmt das Bundesverfassungsgericht
      beispielsweise dem Art. 8 GG das Erfordernis, dass die
      Strafgerichte für die Weigerung, sich unverzüglich aus einer
      aufgelösten Versammlung zu entfernen, gemäß § 29
      Abs. 1 Nr. 2 VersG eine Geldbuße nur dann verhängen
      dürfen, wenn feststeht, dass die Auflösung
      versammlungsrechtlich rechtmäßig war (vgl. BVerfGE 87, 399
      <399, 407 ff.>). Entsprechendes gilt für die
      Ahndung der Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder
      einem Aufzug, welche durch vollziehbares Verbot untersagt
      sind, als Ordnungswidrigkeit gemäß § 29 Abs. 1
      Nr. 1 VersG (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer
      des Ersten Senats vom 12. März 1998 – 1 BvR
      2165/96, 1 BvR 2168/96 –, JURIS, Rn. 13). Eine
      vergleichbare Argumentation liegt der Annahme eines Verstoßes
      gegen Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde, wenn die
      Verweigerung der Angabe der Personalien nach § 111 OWiG
      geahndet wird, ohne dass zuvor die Rechtmäßigkeit der
      Aufforderung in vollem Umfang überprüft worden ist (vgl.
      BVerfGE 92, 191 <191, 199 ff.>). 


31  


bb) Daraus folgt jedoch nicht, dass auch eine
      Bestrafung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß
      § 113 StGB stets nur mit den Grundrechten vereinbar
      wäre, wenn die Diensthandlung nach öffentlich-rechtlichen
      Maßstäben rechtmäßig ist. Denn das ausnahmslose Erfordernis
      einer verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der jeweiligen
      Ausgangsmaßnahmen ist in der Rechtsprechung des
      Bundesverfassungsgerichts auf Erwägungen der
      Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gestützt (vgl. BVerfGE
      87, 399 <410>; 92, 191 <201>), deren
      Übertragbarkeit anhand der jeweils zu beurteilenden
      Sanktionsnorm zu prüfen und im Falle des § 113 StGB
      zu verneinen ist. 


32  


(1) Der Bürger darf grundsätzlich darauf
      vertrauen, dass der Grundrechtsschutz sich in einem
      Rechtsstaat über die Beachtung der maßgebenden Gesetze durch
      die eingreifende Staatsgewalt verwirklicht. Soll bei der
      nachträglichen Ahndung des Verhaltens eines Bürgers
      gleichwohl vom Erfordernis der Rechtmäßigkeit der
      Amtshandlung abgesehen werden, bedarf dies besonderer Gründe.
      Ein solcher Grund kann in den präventiven, auf den Schutz des
      handelnden Amtsträgers gerichteten Wirkungen einer
      Sanktionsandrohung liegen. Diesem Schutzziel steht allerdings
      das Interesse des Bürgers gegenüber, nicht auch noch mit
      einer Strafsanktion überzogen zu werden, wenn er an seiner
      Grundrechtsausübung durch eine rechtswidrige
      Verwaltungsmaßnahme gehindert worden ist, der er sich
      widersetzt hat. Diese gegenläufigen Interessen bedürfen der
      angemessenen Zuordnung. 


33  


(2) Bei den von § 113 Abs. 1 StGB
      erfassten Tathandlungen des Widerstandleistens mit Gewalt
      oder durch Drohung mit Gewalt oder des tätlichen Angriffs ist
      es danach weder dem Gesetzgeber noch der Rechtsprechung von
      Verfassungs wegen verwehrt, sie im Rahmen der Auslegung und
      Anwendung des § 113 StGB auch dann als strafbar zu
      bewerten, wenn sie auf nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben
      als rechtswidrig zu beurteilende Diensthandlungen
      reagieren. 


34  


Der entsprechende Grundrechtseingriff wiegt
      zwar schwerer als bei jenen Bußgeldtatbeständen, bei denen
      nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine
      Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes
      ausscheidet. Das Gewicht der präventiven Schutzzwecke, die
      Gesetzgeber und Strafgerichte der Strafandrohung beimessen
      dürfen, ist jedoch im Falle des § 113 Abs. 1 StGB
      so hoch, dass auch dieser schwerwiegendere Eingriff
      gerechtfertigt ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss der
      2. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 1999
      - 1 BvR 2017/97 -, NJW 2000, S. 943
      <944>). Denn die Vorschrift erfasst mit dem
      Widerstandleisten mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt
      sowie dem tätlichen Angriff Verhaltensweisen, die sich nicht
      auf eine bloße Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen
      beschränken, sondern eigenständige
      Rechtsgutbeeinträchtigungen von erheblichem Gewicht bewirken.
      Zudem betrifft sie häufig Situationen, in denen der
      Amtsträger bereits zu Zwangsmaßnahmen gegriffen hat, und der
      Betroffene sich durch die Widerstandshandlung gerade
      entschlossen zeigt, sich auch hiergegen zur Wehr zu setzen.
      Soweit vollstreckungsrechtliche Duldungspflichten des
      Betroffenen bestehen, erweisen sich diese in solchen
      Situationen auch im Verbund mit der Drohung der
      Zwangsanwendung gerade als nicht ausreichend, um dem
      Behördenwillen Nachdruck zu verleihen und dessen Durchsetzung
      zu gewährleisten. Angesichts dessen genügt die Verwendung des
      so genannten strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs im
      Bereich des § 113 Abs. 3 StGB den
      grundrechtlichen Anforderungen, die an die
      Verhältnismäßigkeit einer zusätzlichen Strafbewehrung
      derartiger Duldungspflichten zu stellen sind. 


35  


cc) Die Strafgerichte haben jedoch bei der
      konkretisierenden Auslegung und Anwendung des
      strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes im Rahmen des
      § 113 Abs. 3 StGB die Bedeutung und die Tragweite
      der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit zu
      beachten. 


36  


Vorliegend bedarf keiner allgemeinen Klärung,
      welche Anforderungen danach an die in § 113 Abs. 3
      Satz 1 StGB geforderte Rechtmäßigkeit des zu Grunde
      liegenden Verwaltungshandelns zu stellen sind, gegen die die
      Widerstandshandlung sich richtet. Verfassungsrechtlich ist es
      jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn solche Rechtsfehler der
      handelnden Hoheitsträger bei der Festsetzung einer Sanktion
      nach § 113 StGB außer Acht bleiben, die den
      Besonderheiten der Situation der konkreten Diensthandlungen,
      etwa einer erheblichen Unübersichtlichkeit oder einer
      spannungsreichen Lage, geschuldet sind (vgl. dazu auch
      BVerfGE 92, 191 <200>) und in der Folge in einer
      fehlerhaften Beurteilung der Tatsachenlage und darauf
      aufbauend in einer Fehleinschätzung etwa der
      Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme bestehen.
      Andernfalls wäre der vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich
      unbedenklicher Weise durch § 113 StGB beabsichtigte
      Schutz der Amtsträger deutlich abgeschwächt. 


37  


Andererseits können bestimmte Rechtsfehler der
      handelnden Amtsträger, wie in der Rechtsprechung und
      Literatur trotz eines anhaltenden Meinungsstreits über
      einzelne der Voraussetzungen anerkannt ist, dazu führen, dass
      eine Verurteilung nach § 113 Abs. 1 StGB ausscheidet
      (dazu vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007,
      Rn. 11 zu § 113 m.w.N.; Eser in:
      Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Rn.
      23 ff. zu § 113). So hängt die Rechtmäßigkeit
      jedenfalls von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des
      Beamten zum Eingreifen sowie von den zum Schutz des
      Betroffenen wesentlichen Förmlichkeiten ab, soweit solche
      vorgeschrieben sind. Als wesentliche Förmlichkeiten werden in
      Rechtsprechung und Literatur beispielsweise angesehen: das
      Vorliegen eines vollstreckbaren Titels bei der
      Zwangsvollstreckung, die Eröffnung des zur Last gelegten
      Fehlverhaltens bei Identifizierungsmaßnahmen, das Eröffnen
      des Vorführungsbefehls nach § 134 StPO oder die
      Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung oder zur
      Durchsuchung (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 17;
      Eser, a.a.O., Rn. 26 jeweils m.w.N). Ferner wird in der
      Rechtsprechung eine pflichtgemäße Prüfung der sachlichen
      Eingriffsvoraussetzungen verlangt. Entscheidend ist, ob der
      Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter
      bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren
      Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt
      halten durfte (vgl. BGHSt 21, 334 <363>; BGH, Urteil
      vom 23. Februar 1962 – 4 StR 511/61 -, NJW 1962, S. 1020
      <1021 l. Sp.>; KG, Urteil vom 11. Mai 2005
      - <5> 1 Ss 61/05 <12/05> -, NStZ 2006,
      S. 414 <414 f.>; vgl. auch die Formulierung,
      die Amtshandlung müsse sich "objektiv im Rahmen des
      Vertretbaren" gehalten haben: OLG Köln, Urteil vom
      17. Dezember 1985 – 1 Ss 318/85 -, NStZ 1986, 234
      <235>). 


38  


Bei der Konkretisierung der nach dieser
      Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen der Wahrung
      wesentlicher Förmlichkeiten und der pflichtgemäßen Prüfung
      von Eingriffsvoraussetzungen haben die Strafgerichte der
      Bedeutung der durch die Diensthandlung betroffenen
      Grundrechte Rechnung zu tragen. Werden dem Amtsträger ohne
      Weiteres erkennbare rechtliche Voraussetzungen seiner
      Befugnisse nicht beachtet, überwiegt das in einem Rechtsstaat
      wichtige Interesse des Bürgers, darauf vertrauen zu dürfen,
      dass die Amtsträger die allgemeinen Anforderungen an ein
      rechtmäßiges Verhalten kennen und beachten. Werden
      entsprechende grundlegende rechtliche Anforderungen an
      Grundrechtseingriffe verletzt, darf der auf die Möglichkeit
      zur Ausübung seines Grundrechts gerichtete Widerstand des
      Grundrechtsträgers gegen die Diensthandlung - für den
      kein Anlass bestanden hätte, wenn ein verständiger Amtsträger
      die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen eines solchen
      Grundrechtseingriffs beachtet und ihn deshalb unterlassen
      hätte – nicht nach § 113 Abs. 1 StGB mit einer
      strafrechtlichen Sanktion geahndet werden. Unberührt bleibt
      davon allerdings die Frage der Strafbarkeit einer im Zuge der
      Widerstandshandlung begangenen weiteren Straftat. 


39  


b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen
      diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. 


40  


aa) Der Einsatzleiter hat
      Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer als
      Teilnehmer einer Versammlung durchgeführt, ohne diese zuvor
      aufgelöst oder den Beschwerdeführer aus der Versammlung
      ausgeschlossen zu haben. Maßnahmen, die die Teilnahme an
      einer Versammlung beenden - wie ein Platzverweis oder
      eine Ingewahrsamnahme - sind rechtswidrig, solange nicht
      die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst
      oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von
      der Versammlung ausgeschlossen wurde (vgl. BVerfGK 4, 154
      <158 ff.>; OVG Bremen, Urteil vom 4. November
      1986 - 1 BA 15/86 -, NVwZ 1987, S. 235
      <236>; OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober
      1988 – 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 31 ff.;
      OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
      2. März 2001 – 5 B 273/01 -, NVwZ 2001, S. 1315
      ; VG Hamburg, Urteil vom
      30. Oktober 1986 - 12 VG 2442/86 -, NVwZ
      1987, S. 829 <831 f.>). 


41  


Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz
      des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht
      geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren
      Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen
      Fällen ausschließt. Denn es handelt sich um Anforderungen der
      Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung
      für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der
      Versammlungsfreiheit wesentlich ist. In Versammlungen
      entstehen häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher
      Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab
      wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften
      sie gleichwohl wegen eines ihrer Ansicht nach von der
      Versammlungsfreiheit geschützten Verhaltens negativ
      sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie
      einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts
      abhalten. 


42  


(1) Die Festnahme und der Abtransport des
      Beschwerdeführers waren nach den gerichtlichen Feststellungen
      auf die Beendigung sowohl seiner Teilnahme an der von ihm
      initiierten Veranstaltung als auch dieser Veranstaltung
      insgesamt gerichtet. Die Ingewahrsamnahme des
      Beschwerdeführers zielte nicht mehr allein auf die
      Verhinderung des Megaphoneinsatzes. Vielmehr sollte die
      weitere Teilnahme des Beschwerdeführers an der Versammlung
      unterbunden werden. Die abwehrenden Maßnahmen des
      Beschwerdeführers geschahen als Reaktion auf den Versuch, ihn
      in Verfolgung dieses Zwecks in Gewahrsam zu nehmen. Für einen
      die Mitwirkung an der Versammlung ausschließenden Gewahrsam
      hätte kein Anlass bestanden, wenn es nur darum gegangen wäre,
      die Megaphonnutzung zu unterbinden. Dass die Zielsetzung der
      Ingewahrsamnahme deutlich darüber hinausging, zeigte sich
      auch daran, dass sie bis zur Beendigung der CDU-Veranstaltung
      anhielt und dazu führte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr
      an der von ihm initiierten Versammlung teilnehmen konnte. 


43  


(2) Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen
      Versammlungen richten sich nach dem Versammlungsgesetz.
      Dieses Gesetz geht in seinem Anwendungsbereich als
      Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl.
      BVerfGK 4, 154 <158>). Daraus ergeben sich
      besondere Anforderungen für einen polizeilichen Zugriff auf
      Versammlungsteilnehmer. Eine auf allgemeines Polizeirecht
      gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an
      der Versammlung beschränkt wird, scheidet aufgrund der
      Sperrwirkung der versammlungsgesetzlichen Regelungen aus
      (vgl. BVerfGK 4, 154 <158, 160>). Für Beschränkungen
      der Versammlungsteilnahme stehen der Polizei lediglich die
      abschließend versammlungsgesetzlich geregelten
      teilnehmerbezogenen Maßnahmen zu Gebote, für die im Interesse
      des wirksamen Grundrechtsschutzes strengere Anforderungen
      bestehen als für polizeirechtliches Einschreiten allgemein.
      Diesen Anforderungen genügten die polizeilichen Maßnahmen
      nicht. 


44  


(a) Eine Auflösung der Versammlung ist nicht
      erfolgt. 


45  


Auflösung ist die Beendigung einer bereits
      durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die
      Personenansammlung zu zerstreuen. Der Schutz der
      Versammlungsfreiheit erfordert, dass die Auflösungsverfügung
      eindeutig und nicht missverständlich formuliert ist und für
      die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die
      Versammlung aufgelöst ist (vgl. BVerfGK 4, 154 <159>;
      OVG Berlin, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – 8 N 129.02 -,
      NVwZ-RR 2003, S. 896 <897>). Dieses Erfordernis
      soll den Beteiligten Klarheit darüber verschaffen, dass
      nunmehr der Grundrechtsschutz entfällt. Die Gerichte haben
      vorliegend nicht festgestellt, dass eine derartige
      Auflösungsverfügung erlassen worden ist. Auch wenn eine
      Auflösung nicht formgebunden ist, muss sie doch eigenständig
      erfolgen und eindeutig sein; sie ist insofern eine förmliche
      Voraussetzung der Rechtmäßigkeit darauf aufbauender Handlung,
      wie hier einer Entfernung des Versammlungsleiters aus der
      Versammlung. 


46  


(b) Der Beschwerdeführer wurde auch nicht auf
      versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung
      ausgeschlossen. 


47  


Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers
      ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen
      verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen. Auch
      die Ausschlussverfügung muss hinreichend bestimmt sein. Die
      Erklärung des Ausschlusses hat, wie diejenige der Auflösung
      (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 –
      1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 32), besondere Bedeutung für
      die Sicherung der Versammlungsfreiheit. Ihre Notwendigkeit
      gibt der Polizei zum einen Anlass, sich über das Ziel ihrer
      Maßnahmen Rechenschaft zu geben und die rechtlichen
      Voraussetzungen des Ausschlusses zu bedenken. Vor allem aber
      dient sie dazu, dem Teilnehmer bewusst werden zu lassen, dass
      der versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme endet (vgl.
      BVerfGK 4, 154 <159>). Ihm soll damit auch Gelegenheit
      gegeben werden, die Grundrechtsausübung ohne unmittelbaren
      Polizeizwang zu beenden, indem er sich aus der Versammlung
      von sich aus entfernt. Dass eine diesen Anforderungen
      genügende Ausschlussverfügung vorliegend ergangen wäre, haben
      die Gerichte nicht festgestellt. Auch insofern hat es an
      einer wesentlichen Förmlichkeit der Rechtmäßigkeit von
      Maßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer gefehlt. 


48  


(c) Es ist auch keine anderweitige – etwa als
      Platzverweis intendierte - an den Beschwerdeführer gerichtete
      Verfügung mit vergleichbarem Inhalt ergangen, so dass es
      keiner Entscheidung bedarf, ob auch eine derartige Verfügung
      ausreichen kann (vgl. BVerfGK 4, 154 <154, 159>). 


49  


bb) Die Kenntnis der Maßgeblichkeit
      versammlungsrechtlicher Regeln unter Einschluss der
      besonderen Voraussetzungen von Maßnahmen, die eine
      Versammlungsteilnahme unmöglich machen, kann von einem
      verständigen Amtsträger erwartet werden. Kennt er sie nicht
      und verweigert er in der Folge dem Grundrechtsträger die in
      der Rechtsordnung geforderte Klarheit über den Wegfall des
      Schutzes der Versammlungsfreiheit, darf dies nicht dem
      betroffenen Grundrechtsträger angelastet werden; Art. 8
      Abs. 1 GG gebietet, eine derartige
      Vollstreckungshandlung grundsätzlich als rechtswidrig im
      Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB
      anzusehen. 


50  


Anlass für eine Ausnahme bestand im
      vorliegenden Fall nicht. Dass der Einsatzleiter das
      Erfordernis einer versammlungsrechtlichen Auflösung oder des
      Ausschlusses des Beschwerdeführers aus der Versammlung vor
      der Durchführung von Vollstreckungshandlungen verkannt hat,
      war nicht den besonderen situativen Umständen seines
      Eingreifens geschuldet. Der bei der Ingewahrsamnahme aus der
      Versammlung heraus erfolgte Fehler prägte das Handeln des
      Einsatzleiters von Anfang an, nämlich schon vor Beginn der
      tumultartigen Umstände im weiteren Verlauf der Aktion. Er
      beruhte auf einer grundsätzlichen Verkennung der rechtlichen
      Voraussetzungen versammlungsbezogener Maßnahmen, also auch
      des Erfordernisses einer Versammlungsauflösung oder des
      Ausschlusses aus der Versammlung vor dem Eingreifen von
      Maßnahmen zur Realisierung von Auflösung oder Ausschluss. 


51  


3. Diese rechtlichen Voraussetzungen der gegen
      den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen und in der Folge
      der Bejahung einer Rechtmäßigkeit der Amtshandlung im Sinne
      des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB haben die
      Gerichte nicht erkannt; dieser Fehler hat sich auf die
      Anwendung des § 113 Abs. 1 StGB ausgewirkt. Die
      Gerichte haben den Verstoß gegen Art. 8 GG durch
      die strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten des
      Beschwerdeführers, der sich der Entfernung aus der
      Versammlung widersetzte, fortgesetzt. 


52  


Die Entscheidungen beruhen auf dieser
      Verletzung des Art. 8 GG. Bei Wahrung der
      grundrechtlichen Anforderungen hätten die Gerichte die
      Rechtmäßigkeit der Diensthandlung gemäß § 113
      Abs. 3 StGB nicht bejahen und auf dieser Grundlage nicht
      zu einer Verurteilung wegen Widerstands gegen
      Vollstreckungsbeamte beziehungsweise – im Falle des
      Oberlandesgerichts - zur Aufrechterhaltung der Verurteilung
      gelangen dürfen. 


53  


4. Dies bedeutet nicht, dass die Tätlichkeit
      des Beschwerdeführers strafrechtlich sanktionslos bleiben
      muss. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich,
      Rechtsgutverletzungen, die über die Missachtung der
      behördlichen Maßnahme hinausgehen - etwa eine
      Körperverletzung - nach den allgemeinen Grundsätzen des
      Strafrechts zu ahnden. Vorliegend haben die Gerichte
      dementsprechend das Verhalten des Beschwerdeführers als
      gefährliche Körperverletzung eingeordnet. 


54  


Allerdings haben die Gerichte infolge der
      fehlerhaften Bewertung der Amtshandlung als rechtmäßig nicht
      prüfen müssen, ob und wie weit deren Rechtswidrigkeit
      Bedeutung für die Verurteilung wegen gefährlicher
      Körperverletzung haben musste. Insofern sei klarstellend
      darauf hingewiesen, dass die vorstehenden Ausführungen sich
      nur auf die Bestrafung nach § 113 StGB beziehen. Es ist
      von Verfassungs wegen nicht vorgegeben, dass die
      Rechtswidrigkeit der Diensthandlung auch eine Bestrafung
      allein wegen der gefährlichen Körperverletzung ausschließt,
      etwa unter dem Gesichtspunkt der Notwehr. Aus einer
      Einstufung der Diensthandlung als rechtswidriger Angriff im
      Sinne von § 32 StGB (vgl. BGHSt 4, 161
      <163 f.>) folgt im Hinblick auf die dann sich
      weiter stellenden Fragen der Erforderlichkeit und Gebotenheit
      der Verteidigungshandlung (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom
      24. Dezember 2001 – 1 Ss 227/01 -, JURIS,
      Rn. 21 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 27.
      Aufl. 2006, Rn. 36 f. zu § 113) keineswegs
      verfassungsrechtlich zwingend die Annahme einer
      Rechtfertigung durch Notwehr. Dies bedarf vielmehr
      eigenständiger Prüfung. 

 

II. 


55  


Im Übrigen ist eine Annahme der
      Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Die Rüge der
      Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist unsubstantiiert und
      damit unzulässig. Auch hat der Beschwerdeführer nicht in
      einer den Substantiierungsanforderungen genügenden Weise
      dargelegt, dass die Aktion des Beschwerdeführers vom 23.
      August 2003 am Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5
      Abs. 3 GG) zu messen ist. Die Rüge der Verletzung von
      Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist zwar zulässig, hat aber
      keine Aussicht auf Erfolg. Die Handlung des
      Beschwerdeführers, die das Persönlichkeitsrecht der
      Oberbürgermeisterkandidatin verletzte, ist ohne Verstoß gegen
      das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Beleidigung im Sinne
      des § 185 StGB gewertet worden. 

 

III. 


56  


Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das
      Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1
      GG, soweit seine Verurteilung wegen des am 11. Januar
      2003 erfolgten Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
      - hier: in Tateinheit mit gefährlicher
      Körperverletzung - erfolgt ist. Das Urteil des
      Landgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts werden
      aufgehoben. Von einer Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts
      wird abgesehen. Das Landgericht, an welches die Sache
      zurückverwiesen wird, hat über die Bestrafung des
      Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der
      verfassungsrechtlichen Vorgaben neu zu entscheiden. 


57  


Die Entscheidung über die Auslagenerstattung
      beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. 


58  


Von einer weiteren Begründung wird gemäß
      § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 


59  


Diese Entscheidung ist unanfechtbar. 


   




Papier 
Hohmann-Dennhardt 
Hoffmann-Riem