Fall 54
Aktenzeichen: 1 BvR 1418/07
Beck Online: NVwZ-RR 2007 641.0

cid 54 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 1418/07 - 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   




1. 
der Nationaldemokratischen Partei
          Deutschlands (NPD), 
          vertreten durch den Bundesvorsitzenden 


2. 
der NPD-Fraktion im Landtag 




   



        - Bevollmächtigte:
       

        Rechtsanwältin Gisa Pahl, 
        Dahlengrund 55 e, 21077 Hamburg -
       


   





gegen
          a) 

den Beschluss des
          Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1.
          Juni 2007 - 3 M 60/07 -, 



b) 

den Beschluss zu 1 a)
          - 1 d) des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 31. Mai
          2007 - 1 B 263/07 -, 



c) 

die Verbotsverfügung des
          Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Schwerin vom 30.
          Mai 2007 



 




und 

Antrag auf Erlass einer einstweiligen
          Anordnung 




   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
den Präsidenten Papier, 
      die Richterin Hohmann-Dennhardt 
      und den Richter Hoffmann-Riem 


   


gemäß § 93 b in Verbindung mit
      § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
      vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
      am 26. Juni 2007 einstimmig beschlossen: 


   


Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
      Entscheidung angenommen. 
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer
      einstweiligen Anordnung. 
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat die Hälfte
      der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerinnen zu
      erstatten. 
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen
      Tätigkeit wird auf 4.000 € festgesetzt. 


   


Gründe: 


1  


Das Verfahren betrifft die Versagung
      versammlungsrechtlichen Eilrechtsschutzes. 

 

I. 


2  


Mit Verfügung vom 30. Mai 2007 untersagte der
      Oberbürgermeister der Stadt Schwerin unter Aufhebung einer
      zuvor erlassenen Auflagenverfügung einen im Dezember 2006 für
      den 2. Juni 2007, 10 Uhr, angemeldeten Aufzug durch das
      Stadtzentrum von Schwerin zu dem Thema "Nein zum G8-Gipfel -
      für eine Welt freier Völker". Er ordnete die sofortige
      Vollziehung des Versammlungsverbots an. 


3  


Im Eilrechtsschutzverfahren änderte das
      Verwaltungsgericht Schwerin die Verbotsverfügung mit
      Beschluss vom 31. Mai 2007 dahin ab, dass der Aufzug zwar
      stattfinden dürfe, jedoch lediglich in einem Gewerbegebiet in
      Schwerin-Süd, einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Die
      von gewaltgeneigten Gegendemonstranten zu erwartenden
      Ausschreitungen ließen sich nur durch räumliche Trennung der
      Versammlung der Beschwerdeführerinnen von den für dieselbe
      Zeit angemeldeten Gegenveranstaltungen wirksam bekämpfen.
      Anders als bei den Teilnehmern der Gegendemonstrationen sei
      bei den Versammlungsteilnehmern der Beschwerdeführerinnen zu
      erwarten, dass diese sich der Auflage beugen und ihre
      Versammlung ohne größeren Widerstand an den Stadtrand
      verlegen würden. Auch Schwerin-Süd sei ein geeigneter
      Versammlungsort, da dieser günstig an der Bahnlinie und nicht
      weit von dem Krebsfördener Neubaugebiet entfernt liege. Ein
      Medieninteresse sei unabhängig vom Versammlungsort ohnehin
      gegeben. 


4  


Das Oberverwaltungsgericht
      Mecklenburg-Vorpommern versagte im Beschwerdeverfahren mit
      Beschluss vom 1. Juni 2007 den Eilrechtsschutz insgesamt. Der
      vom Verwaltungsgericht zu Recht festgestellte polizeiliche
      Notstand rechtfertige ein Verbot der Versammlung. 


5  


Mit Beschlüssen vom selben Tage bestätigte das
      Oberverwaltungsgericht auch das Verbot einer ebenfalls für
      den 2. Juni 2007, 10 Uhr von der Beschwerdeführerin zu 1
      angemeldeten Versammlung in Ludwigslust und das Verbot einer
      der Gegendemonstrationen, nämlich der Kundgebung eines
      „antifaschistischen Bündnisses“. Das Verbot einer weiteren
      Gegenveranstaltung, eines am 4. Januar 2007 angemeldeten
      „Bürgerfestes für Toleranz“ am Pfaffenteich in Schwerin, für
      das die Stadtvertretung am 7. Mai 2007 die Bürger zur
      Teilnahme aufgerufen hatte, wurde dagegen von den Gerichten
      nicht aufrecht erhalten. Das Oberverwaltungsgericht
      (Beschluss vom 1. Juni 2007 - 3 M 62/07 -)
      begründet dies damit, dass aufgrund des Verbots der
      Versammlungen der Beschwerdeführerinnen und des
      „antifaschistischen Bündnisses“ der polizeiliche Notstand,
      der durch das Fehlen hinreichender Polizeikräfte zur Abwehr
      der Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen begründet worden
      war, entfallen sei. Damit seien die Gründe für ein Verbot
      auch dieser Versammlung nicht gegeben. Das „Bürgerfest“
      konnte daher wie geplant stattfinden. 


6  


Die Beschwerdeführerinnen im vorliegenden
      Verfahren sehen in der Verbotsverfügung einen Verstoß gegen
      Art. 8 und Art. 5 GG. Das Verbot sei
      unverhältnismäßig. Durch geeignete Auflagen hätte
      sichergestellt werden können, dass die Versammlung in der
      Innenstadt von Schwerin hätte stattfinden können. Das vom
      Verwaltungsgericht im Zuge einer Auflage vorgesehene
      Gewerbegebiet in Schwerin-Süd wäre allerdings nicht geeignet
      gewesen, da dieses zu dem fraglichen Zeitpunkt menschenlos
      sein würde. 

 

II. 


7  


1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur
      Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des
      § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, da das
      Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde
      angesichts der eingetretenen Erledigung entfallen ist.
      Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung. 


8  


2. Den Beschwerdeführerinnen ist ein
      Auslagenerstattungsanspruch in Höhe der Hälfte der im
      verfassungsgerichtlichen Verfahren entstandenen notwendigen
      Auslagen zuzuerkennen. 


9  


a) In Bezug auf die Verfassungsbeschwerde sind
      den Beschwerdeführerinnen keine Auslagen zu erstatten, da
      diese keinen Erfolg hat, § 34 a
      Abs. 2 BVerfGG. 


10  


b) Hinsichtlich des Eilantrages ist gem.
      § 34 a Abs. 3 BVerfGG über die Auslagen nach
      Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 89,
      91 <97>). Hierfür kann insbesondere darauf abgestellt
      werden, ob die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen
      vor Eintritt der Erledigung Aussicht auf Erfolg gehabt hätten
      (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom
      13. September 1995 - 1 BvR 1401/94 -,
      NJW-RR 1996, S. 138). Falls der Antrag keinen Erfolg
      gehabt hätte, kann auch darauf abgestellt werden, inwieweit
      die Gründe, die zur Ablehnung hätten führen müssen, für den
      Antragsteller deutlich erkennbar waren (vgl. BVerfGE 89, 91
      <97>). Danach entspricht die Erstattung von Auslagen
      insbesondere dann der Billigkeit, wenn ein nach
      § 32 BVerfGG gestellter Eilantrag mit hoher
      Wahrscheinlichkeit Erfolg gehabt hätte, jedoch aufgrund der
      besonderen Umstände des Einzelfalls vom
      Bundesverfassungsgericht nicht mehr vor Eintritt der
      Erledigung verbeschieden werden konnte. 


11  


c) Ein solcher Fall liegt hier vor. 


12  


aa) Die angegriffene Entscheidung, die von der
      Entscheidung der Vorinstanz nach Inhalt und Begründung in
      maßgeblichen Punkten abweicht, sowie der dagegen gerichtete
      Antrag nach § 32 BVerfGG lagen dem Gericht erst am
      1. Juni 2007 um 23.51 Uhr und damit kurz vor Beginn des Tages
      vor, an dessen Vormittag um 10.00 Uhr die Versammlung
      stattfinden sollte. Ferner gingen noch in der Nacht bis 4.18
      Uhr zwei weitere, mit dem hier vorliegenden Fall in
      sachlichem Zusammenhang stehende Anträge ein, die sich
      ebenfalls bis zum 2. Juni 2007, 10 Uhr, erledigen würden. Bei
      dieser Sachlage war es nicht möglich, innerhalb der wenigen
      verbleibenden Stunden verantwortliche Entscheidungen über die
      gestellten Anträge zu treffen. 


13  


bb) Hätte er rechtzeitig verbeschieden werden
      können, hätte der Antrag der Beschwerdeführerinnen auf Erlass
      einer einstweiligen Anordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit
      Aussicht auf Erfolg gehabt. 


14  


(1) Schon in Hinblick auf die Entscheidung des
      Verwaltungsgerichts, die durch das Oberverwaltungsgericht
      noch ausgeweitet wurde, bestehen erhebliche
      verfassungsrechtliche Bedenken, ob es den
      Beschwerdeführerinnen verwehrt werden durfte, ihren Aufzug in
      der Innenstadt von Schwerin durchzuführen. 


15  


Nach den Feststellungen der
      Verwaltungsgerichte war nicht zu erwarten, dass von der von
      den Beschwerdeführerinnen geplanten Versammlung Gefahren für
      die öffentliche Sicherheit ausgehen würden. Vielmehr beruhte
      die vom Verwaltungsgericht angeordnete Auflage der Verlegung
      der Versammlung in ein Gewerbegebiet auf der Einschätzung,
      dass derartige Gefahren von Seiten gewaltbereiter
      Gegendemonstranten ausgehen werden. Waren die
      Beschwerdeführerinnen damit als Nichtstörer anzusehen, so
      kann gegen sie nur unter den besonderen Voraussetzungen des
      so genannten polizeilichen Notstandes eingeschritten werden
      (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom
      18. August 2000 – 1 BvQ 23/00 –, NJW 2000,
      S. 3053; Beschluss vom 26. März 2001 – 1 BvQ 15/01
      –, NJW 2001, S. 1411 f.; Beschluss vom 10. Mai
      2006 – 1 BvQ 14/06 –, NVwZ 2006, S. 1049). Dies
      setzt voraus, dass eine Gefahr auf andere Weise nicht
      abgewehrt werden kann, etwa weil die Verwaltungsbehörde nicht
      über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und
      Vollzugshilfe zu ergänzende Mittel und Kräfte verfügt, um die
      gefährdeten Rechtsgüter wirksam zu schützen (vgl. BVerfG,
      Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März
      2001 – 1 BvQ 15/01 –, NJW 2001,
      S. 1411 f.; 
      Beschluss vom 10. Mai 2006 – 1 BvQ 14/06 –,
      NVwZ 2006, S. 1049 f.). Zur Feststellung
      dieser Voraussetzungen können zwar grundsätzlich die
      verwaltungsgerichtlichen Feststellungen und polizeilichen
      Angaben über Art und Ausmaß erforderlicher Gegenmaßnahmen und
      zur Überlastung der Polizei als Grundlage für die vom
      Bundesverfassungsgericht vorzunehmende Folgenabwägung
      herangezogen werden. Jedoch dürfen Gefahren nicht
      berücksichtigt werden, die bei Wahrung des Grundsatzes der
      Verhältnismäßigkeit anders als durch Inanspruchnahme des
      Nichtstörers ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG,
      Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000
      – 1 BvQ 23/00 –, NJW 2000, S. 3053
      <3055 f.>). 


16  


Geht eine Gefahr für die öffentliche
      Sicherheit nicht von der Versammlung selbst, sondern von
      einer Gegenveranstaltung aus, ist insbesondere zu prüfen, ob
      die Inanspruchnahme des Nichtstörers durch eine
      versammlungsrechtliche Verfügung gegenüber den Veranstaltern
      der Gegendemonstration vermieden werden kann. Keinesfalls
      darf der Nichtstörer einem Störer gleichgestellt und die
      Auswahl des Adressaten der versammlungsrechtlichen Verfügung
      von bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig gemacht werden.
      Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so
      ist es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung
      berufenen staatlichen Stellen, in unparteiischer Weise auf
      die Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für die
      Grundrechtsträger hinzuwirken (vgl. BVerfG, Beschluss der 1.
      Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2006
      - 1 BvQ 14/06 -, NVwZ 2006, S. 1049
      <1050>). 


17  


Im vorliegenden Fall bestehen Bedenken, ob die
      Verlegung der Versammlung der Beschwerdeführerinnen aus der
      Innenstadt von Schwerin heraus diesen Anforderungen genügt
      hätte. Zwar ist der Ausgangspunkt, der polizeiliche Notstand
      könne durch eine räumliche Trennung der angemeldeten
      Versammlungen vermieden werden, verfassungsrechtlich nicht zu
      beanstanden. Zweifelhaft ist aber, ob dies bereits die
      Inanspruchnahme der Beschwerdeführerinnen als Nichtstörer
      rechtfertigt. Für die Beschwerdeführerinnen bedeutet schon
      diese Auflage einen schweren Grundrechtseingriff, da mit
      einer Versammlung in einem Gewerbegebiet, das nach ihrer
      Auffassung zu dem vorgesehenen Zeitpunkt menschenleer sein
      würde, das verfassungsrechtlich geschützte Interesse der
      Veranstalter an einem ihren Vorstellungen entsprechenden
      Beachtungserfolg (vgl. insoweit BVerfGE 69, 315 <365>;
      BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom
      6. Juni 2007 – 1 BvR 1423/07 -, JURIS)
      wesentlich weniger verwirklicht werden kann als bei der
      geplanten Versammlung in der Innenstadt von Schwerin. 


18  


Dabei durfte grundsätzlich nicht darauf
      abgestellt werden, dass bei den Teilnehmern der Versammlung
      der Beschwerdeführerinnen eher mit der Beachtung einer
      Auflagenverfügung gerechnet werden kann als bei den
      Teilnehmern der Gegenveranstaltungen. Denn auf diese Weise
      wird derjenige, der sich voraussichtlich rechtstreu verhalten
      wird, gerade wegen seiner Rechtstreue zum Adressaten einer
      ihn belastenden Verfügung. Eine solche gezielte
      Benachteiligung des Rechtstreuen ist verfassungsrechtlich
      grundsätzlich nicht hinnehmbar. 


19  


(2) Im Ergebnis kann allerdings dahinstehen,
      ob die Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen
      Anordnung gemäß § 32 BVerfGG bereits hinsichtlich
      der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgelegen haben.
      Denn jedenfalls wäre die Argumentation des
      Oberverwaltungsgerichts unter Berücksichtigung des
      Art. 8 GG im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens
      verfassungsrechtlich zu beanstanden gewesen. Dies gilt auch
      dann, wenn davon ausgegangen wird, dass angesichts der
      gegebenen Lage die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts,
      es habe ein polizeilicher Notstand vorgelegen, der
      grundsätzlich auch die Inanspruchnahme eines Nichtstörers für
      eine versammlungsrechtliche Verfügung rechtfertigen könne,
      verfassungsrechtlich tragfähig begründet worden ist. 


20  


Nicht tragfähig ist aber die weitere
      Vorgehensweise des Oberverwaltungsgerichts. Es hat sich mit
      der Frage der Auswahl des richtigen Adressaten der
      Verbotsverfügung gar nicht befasst und dadurch
      ermessensfehlerhaft gehandelt. 


21  


Die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts
      haben im Ergebnis dazu geführt, dass die Versammlung der
      Beschwerdeführerinnen gar nicht, eine der
      Gegenveranstaltungen, das von der Stadtvertretung
      unterstützte „Bürgerfest“, demgegenüber sogar am gewünschten
      Ort stattfinden konnte. Werden mehrere Versammlungen zur
      gleichen Zeit für denselben Ort (hier: das Stadtzentrum von
      Schwerin) angemeldet, so kann über Verbote und Auflagen
      bezüglich einer dieser Versammlungen nicht ohne Rücksicht auf
      die übrigen entschieden werden. Vielmehr ist eine Gesamtschau
      vorzunehmen mit dem Ziel, die Gewährleistungen des
      Art. 8 GG in möglichst großem Ausmaß zu
      verwirklichen. Dies gilt insbesondere, wenn als Adressat für
      eine versammlungsrechtliche Verfügung ein Nichtstörer
      herangezogen werden soll und daher die Auswahl des Adressaten
      der Verfügung aus verfassungsrechtlichen Gründen von dem Ziel
      getragen sein muss, das Recht des Veranstalters auf
      Selbstbestimmung auch über den Ort der Versammlung so weit
      wie möglich zu sichern. 


22  


Das Oberverwaltungsgericht geht auf diese
      Problematik nicht ein, sondern erwähnt die nicht verbotene
      Gegenveranstaltung in seiner Entscheidung gar nicht. Es ist
      insbesondere nicht zu erkennen, ob das Gericht befürchtet
      hat, dass auch von dem „Bürgerfest“ in dem Fall, dass die
      Versammlung der Beschwerdeführerinnen stattfinden würde,
      Ausschreitungen ausgehen würden, oder ob dies nur für die
      unterbundene weitere Gegenveranstaltung oder gar unabhängig
      davon galt, ob überhaupt eine Gegenversammlung organisiert
      würde, weil eine große Zahl gewaltbereiter Personen ohnehin
      in Schwerin erwartet wurde. 


23  


Soweit aus Anlass des „Bürgerfestes“ für den
      Fall des gleichzeitigen Stattfindens der Versammlung der
      Beschwerdeführerinnen mit Ausschreitungen zu rechnen gewesen
      sein sollte, ergäben sich für die Inanspruchnahme der
      Beschwerdeführerinnen als Nichtstörer in noch stärkerem Maße
      Bedenken als in Bezug auf die Entscheidung des
      Verwaltungsgerichts. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht nur
      eine Auflage erlassen, sondern den Antrag auf
      Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die
      Verbotsverfügung abgelehnt und damit die Durchführbarkeit der
      Versammlung insgesamt ausgeschlossen. Damit ist eine Lage
      entstanden, in der eine Versammlung, von der keine Gefahr
      ausging, nicht durchgeführt werden konnte, wohl aber eine als
      Gegenveranstaltung konzipierte andere Versammlung. Da auch
      diese Veranstaltung Polizeikräfte binden würde, hätte das
      Oberverwaltungsgericht sich mit der Frage auseinandersetzen
      müssen, ob ein polizeilicher Notstand entfallen würde, wenn
      keine Gegenveranstaltung, wohl aber die zuerst angemeldete
      der Beschwerdeführerinnen stattfinden würde. Angesichts der
      erwarteten Friedlichkeit der Versammlung der
      Beschwerdeführerinnen und des Verbots der weiteren
      Gegenveranstaltung des "antifaschistischen Bündnisses" lag es
      nicht ohne weiteres auf der Hand, dass, hätte anstelle des
      „Bürgerfests“ die Versammlung der Beschwerdeführerinnen
      stattgefunden, mit den Voraussetzungen eines polizeilichen
      Notstandes zu rechnen gewesen wäre. 


24  


Wäre andererseits davon auszugehen gewesen,
      dass das „Bürgerfest“ auch bei gleichzeitiger Durchführung
      der Versammlung der Beschwerdeführerinnen friedlich verlaufen
      wäre, hätte die Frage der Auswahl unter Nichtstörern
      beantwortet werden müssen. Insoweit wäre eine Begründung
      dafür erforderlich gewesen, warum angesichts der erwarteten
      Friedlichkeit beider Veranstaltungen das Verbot der – dann
      allein gewaltsamen – weiteren Gegenveranstaltung nicht
      ausgereicht hätte und die Versammlung der
      Beschwerdeführerinnen nicht wenigstens mit Auflagen
      hinsichtlich der Versammlungsdurchführung in der Innenstadt
      hätte stattfinden können. 


25  


Falls zwei gleichzeitige, wenn auch friedliche
      Versammlungen ebenfalls wegen polizeilichen Notstandes nicht
      durchführbar gewesen wären, wäre wiederum zu begründen
      gewesen, warum gerade die – zeitlich früher angemeldete –
      Versammlung der Beschwerdeführerinnen, nicht aber die
      Gegenveranstaltung in Anspruch genommen werden musste. 


26  


In der Entscheidung des
      Oberverwaltungsgerichts fehlen jegliche Ausführungen zu den
      insoweit aufgeworfenen Fragen. 


27  


d) Da einerseits der Eilrechtsschutz gegenüber
      dem Verfassungsbeschwerdeverfahren im Regelfall geringeres
      Gewicht hat, andererseits gerade in versammlungsrechtlichen
      Fallgestaltungen dem Eilrechtsschutz besondere Bedeutung
      zukommt, erscheint es angemessen, den
      Auslagenerstattungsanspruch der Beschwerdeführerinnen auf die
      Hälfte der im verfassungsgerichtlichen Verfahren entstandenen
      notwendigen Auslagen festzusetzen. 


28  


Diese Entscheidung ist unanfechtbar. 


   




Papier 
Hohmann-Dennhardt 
Hoffmann-Riem