Fall 61
Aktenzeichen: 1 BvR 2147/09
Beck Online: NJW 2010 141.0

cid 61 
 Nur BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 2147/09 - 

 

 

 

Im Namen des Volkes 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   


des Herrn ..., 


   





gegen
          a) 

den Beschluss des
          Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
          vom 3. September 2009 - 5 B 1231/09 -, 



b) 

den Beschluss des
          Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12. August 2009 -
          14 L 746/09 - 




   




hier: 
Antrag auf Erlass einer einstweiligen
          Anordnung 




   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
den Präsidenten Papier 
      und die Richter Eichberger, 
      Masing 


   


am 4. September 2009 einstimmig
      beschlossen: 


   



Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen
        die Verbotsverfügung des Polizeipräsidiums Dortmund vom
        14. Juli 2009 – Dez 12- 168/08 – wird mit der Maßgabe
        wiederhergestellt, dass von der Versammlungsbehörde für
        erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten ist.
                             Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem
        Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu
        erstatten.
                          


   


Gründe: 


1  


Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene
      Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein
      für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot. 

 

I. 


2  


1. Der Veranstalter meldete für den 5.
      September 2009 eine Versammlung in Dortmund samt Aufzug unter
      dem Motto „Gegen imperialistische Kriegstreiberei und
      Aggressionskriege - für freie Völker in einer freien Welt“
      mit einer zu erwartenden Teilnehmerzahl von circa 1.000
      Teilnehmern an (Fünfter Antikriegstag). 


3  


2. Mit an den Beschwerdeführer als
      Versammlungsleiter adressierter Verbotsverfügung vom 14. Juli
      2009 verbot die Versammlungsbehörde die geplante Versammlung
      unter Berufung auf das Erscheinen von Demonstranten aus der
      Szene der „Autonomen Nationalisten“ wegen der unmittelbaren
      Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 15 Abs. 1
      VersG und erklärte das Verbot für sofort vollziehbar. 


4  


3. Die vom Beschwerdeführer angestrengten
      Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den
      Verwaltungsgerichten blieben erfolglos. In seinem mit einer
      Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer
      einstweiligen Anordnung vom heutigen Tage rügt der
      Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts der
      Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. 

 

II. 


5  


1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das
      Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch
      einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr
      schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder
      aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend
      geboten ist. 


6  


Im Eilrechtsschutzverfahren sind die
      erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu
      berücksichtigen, wenn - wie hier - aus Anlass eines
      Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen
      Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
      eines Rechtsbehelfs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis
      zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des
      Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher
      Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im
      Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde
      offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von
      Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im
      Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111,
      147 <153>). 


7  


2. So liegt der Fall hier. Die dem
      Bundesverfassungsgericht im Eilrechtsschutzverfahren allein
      mögliche vorläufige Prüfung lässt eine ausreichende
      Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot und
      damit einen Eingriff in das Grundrecht der
      Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht
      erkennen. 


8  


Das Bundesverfassungsgericht legt der Prüfung
      des Eilantrags in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und
      Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen
      zugrunde. Etwas anderes gilt, wenn die
      Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die
      Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen
      Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE
      110, 77 <87 f.>; 111, 147 <153>; BVerfGK 3,
      97 <99>). 


9  


3. Ist die behördliche Verfügung auf eine
      unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt
      (§ 15 VersG), erfordert die von der Behörde oder den
      befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche
      Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine
      hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts
      ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für
      sich allein nicht aus (vgl. BVerfGE 69, 315
      <353 f.>; 87, 399 <409>). Im Rahmen des
      vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die
      für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen
      unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG
      in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr
      hindeuten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten
      Senats vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 8/01 –, NJW 2001, S.
      1407 <1408 f.>). Gibt es neben Anhaltspunkten für
      die von der Behörde oder den Gerichten zu Grunde gelegte
      Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die
      Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den
      Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise
      auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer
      des Ersten Senats vom 18. August 2000 – 1 BvQ 23/00 –,
      NJW 2000, S. 3053 <3055>; vom 11. April 2002 – 1 BvQ
      12/02 –, NVwZ-RR 2002, S. 500; vom 7. November 2008 – 1 BvQ
      43/08 – juris Rn. 17). 


10  


4. Die von der Versammlungsbehörde
      aufgezeigten Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für
      die öffentliche Sicherheit tragen das Versammlungsverbot
      nicht. Gleiches gilt für die vom Verwaltungsgericht und vom
      Oberverwaltungsgericht ergänzend zu den Darlegungen der
      Versammlungsbehörde zur Begründung ihrer Entscheidungen
      herangezogenen Gesichtspunkte. 


11  


a) Die Versammlungsbehörde stützt ihre
      Gefahrenprognose auf den Umstand, dass mit dem Veranstalter
      sowie dem stellvertretenden Versammlungsleiter und einer
      weiteren Person, die während des Kooperationsgesprächs
      anwesend war, Mitglieder aus der Szene der „Autonomen
      Nationalisten“ für die geplante Versammlung initiativ
      geworden sind, und die Erwägung, dass dies überwiegend
      Demonstranten aus Kreisen der „Autonomen Nationalisten“
      anlocken werde. Hierbei verweisen die Versammlungsbehörde und
      die Verwaltungsgerichte - wenngleich unter Bezugnahme auf
      unterschiedliche Quellen - auf Äußerungen und Aufrufe von
      einzelnen Anhängern beziehungsweise lokalen und regionalen
      Gruppierungen der „Autonomen Nationalisten“ im Internet, in
      denen allgemein und ohne Bezug auf die in Streit stehende
      Versammlung die Ziele, das Selbstverständnis und die Taktik
      des sogenannten „Schwarzen Blocks“ propagiert werden. Danach
      behalten sich die „Autonomen Nationalisten“ auf Versammlungen
      bei hinreichender Provokation, sei es durch
      Gegendemonstranten oder durch Polizeikräfte, als letztes
      Mittel vor, aus der Anonymität der Menge heraus im Wege der
      Selbsthilfe Gewalt anzuwenden. Die Versammlungsbehörde und
      die Verwaltungsgerichte haben überdies auf die zunehmende
      Präsenz des Schwarzen Blocks bei rechtsradikalen
      Versammlungen abgestellt. 


12  


Dieser Fall der nicht auszuschließenden
      Mobilisierung bestimmter abstrakt gewaltbereiter
      Teilnehmerkreise ist indes qualitativ im Hinblick auf den
      Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefahr nicht mit der
      Konstellation zu vergleichen, dass über das Internet von
      bestimmten Einzelpersonen oder Gruppierungen auf die konkrete
      Versammlung bezogene Äußerungen und Aufrufe verbreitet
      werden, in der die Anwendung von Gewalt unmittelbar angedroht
      beziehungsweise in Aussicht gestellt wird. Keine der von der
      Versammlungsbehörde und den Verwaltungsgerichten für die
      Gefahrenprognose herangezogenen Äußerungen und Aufrufe im
      Internet enthält einen Bezug zu der konkret geplanten
      Versammlung. Die Äußerungen und Aufrufe erschöpfen sich
      insoweit in allgemeinen Ausführungen zu dem unter den
      „Autonomen Nationalisten“ gängigen Gewaltvorbehalt. Aus dem
      Gewaltvorbehalt ist allerdings zu schließen, dass die
      Mitglieder der „Autonomen Nationalisten“ als bedingt
      beziehungsweise latent gewaltbereit einzustufen sind und
      insoweit die Gefahr besteht, dass sie für sich die Schwelle
      für den Eintritt der Bedingung, der hinreichenden
      Provokation, entsprechend der Namensgebung nach eigenen
      Maßstäben losgelöst von rechtsstaatlichen Grundsätzen
      festlegen. Dies allein begründet aber noch nicht für jeden
      Fall, in dem möglicherweise eine größere Zahl „Autonomer
      Nationalisten“ an einer Versammlung teilnimmt, die Annahme,
      dass von direkt bevorstehenden Gewalttätigkeiten und damit
      einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
      auszugehen ist, und entsprechend kann hieraus nicht auf die
      konkrete Absicht dieses potentiellen Teilnehmerkreises
      geschlossen werden, auf der geplanten Versammlung Gewalt
      anzuwenden. Die knapp einen Monat vor der geplanten
      Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführte Versammlung deutet
      - ungeachtet der Unterschiede zwischen beiden Veranstaltungen
      im Einzelnen - darauf hin, dass das Erscheinen von „Autonomen
      Nationalisten“ nicht zwangsläufig zu Ausschreitungen auf
      Seiten der rechtsradikalen Versammlungsteilnehmer führt, wenn
      die durch eine kluge Polizeitaktik geschaffenen
      Rahmenbedingungen stimmen. 


13  


b) Soweit die Versammlungsbehörde und die
      Verwaltungsgerichte eine Indizwirkung für das
      Gefahrenpotential aus früheren rechtsradikalen Versammlungen
      ableiten, ist eine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage im
      Hinblick auf die Erwartung einer ein Verbot rechtfertigenden
      Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht dargetan. Nach
      den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die
      Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind,
      liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von
      Verbotsgründen bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschluss vom
      14. Juli 2000 - 1 BvQ 21/01 - NJW 2001, S. 2078
      <2079>). Als Vorgängerversammlungen sind in erster
      Linie diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich
      des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und
      Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante
      Versammlung aufweisen. Die Antikriegstags-Versammlungen in
      den Jahren 2005, 2006 und 2007 sind nach den Angaben in der
      Verbotsverfügung gänzlich ohne Vorkommnisse durchgeführt
      worden. Auf der Antikriegstag-Versammlung im Jahr 2008 ist es
      zwar augenscheinlich zu gewissen tätlichen
      Auseinandersetzungen gekommen, die Angaben der
      Versammlungsbehörde zu Umfang, Intensität und Folgen dieser
      Tätlichkeiten sind allerdings zu unbestimmt, um den Schluss
      zuzulassen, dass die Versammlung selbst die Schwelle zur
      Gewaltanwendung überschritten hat. Haben sich bei
      Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten
      Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde
      bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre
      Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten
      Versammlung zu befürchten sei (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.
      Juli 2000 - 1 BvR 1245/00 - NJW 2000, S. 3051 <3053>).
      Die in der Verbotsverfügung aufgelisteten früheren 1.
      Mai-Demonstrationen können daher nicht ohne weiteres als
      Indiz für die Gefahrenprognose herangezogen werden, da sie
      unter einem anderen Motto, an einem anderen, noch
      konfliktträchtigeren Datum, teils an einem anderem Ort und
      teils ohne Anmeldung stattgefunden haben. In diesem
      Zusammenhang hätten die Versammlungsbehörde und die
      Verwaltungsgerichte zu Gunsten der geplanten Versammlung auch
      berücksichtigen müssen, dass die knapp einen Monat vor der
      geplanten Versammlung in Bad Nenndorf durchgeführte
      rechtsradikale Versammlung ohne jegliche Gewaltanwendung
      stattgefunden hat, obwohl im Vorfeld dieser Versammlung nach
      der Darstellung der Polizeikräfte vor Ort mit der Teilnahme
      einer „großen Gruppe“ gewaltbereiter „Autonomer
      Nationalisten“ gerechnet wurde und auch tatsächlich mehrere
      Gruppen von „Autonomen Nationalisten“, nicht zuletzt aus
      Dortmund, zu der Versammlung angereist waren. 


14  


c) Soweit die Versammlungsbehörde das
      Gefahrenpotential mit der Menge der zu erwartenden „Autonomen
      Nationalisten“ begründet hat, begegnet die Gefahrenprognose
      auch in quantitativer Hinsicht Bedenken. Die Annahme der
      Versammlungsbehörde, dass sich die Demonstranten überwiegend
      aus den Reihen der „Autonomen Nationalisten“ rekrutieren
      werden, ist aufgrund des Verhältnisses zwischen der Zahl der
      auf der Versammlung zu erwartenden Teilnehmer und der Zahl
      der „Autonomen Nationalisten“ insgesamt nicht
      nachvollziehbar. Nach dem vom Beschwerdeführer angeführten
      Verfassungsschutzbericht 2008 schätzt das Bundesamt für
      Verfassungsschutz die Zahl der „Autonomen Nationalisten“
      bundesweit auf circa 480 Personen. Da nach der allgemeinen
      Lebenserfahrung nicht damit zu rechnen ist, dass sämtliche zu
      diesem Kreis dazugehörigen Personen an der geplanten
      Versammlung teilnehmen werden, ist davon auszugehen, dass
      sich die „Autonomen Nationalisten“ bei zu erwartender
      Teilnehmerzahl von 1.000 - die Versammlungsbehörde geht
      selbst von einer größeren Zahl aus - in der Minderheit
      befinden. Zwar hat das Verwaltungsgericht die Schätzung
      dahingehend korrigiert, dass lediglich mit einer
      „erheblichen“ Zahl von Demonstranten aus Kreisen der
      „Autonomen Nationalisten“ zu rechnen sei. Daraus haben jedoch
      weder das Verwaltungsgericht noch das Oberverwaltungsgericht
      Konsequenzen bei der Gefahrenprognose gezogen. 


15  


d) Ferner haben die Versammlungsbehörde und
      die Verwaltungsgerichte keine konkreten Tatsachen aufgezeigt,
      aus denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen
      werden kann, dass die für die Organisation und Durchführung
      der Versammlung verantwortlichen Personen nicht über die
      erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung
      der Ordnung in der Versammlung verfügen. Zwar kann von diesen
      Personen, wenn mit dem Erscheinen einer gewaltorientierten
      Minderheit sicher zu rechnen ist, erwartet werden, dass sie
      auch in ihrem Vorfeld öffentlich deutliche Signale setzen,
      die auf die Gewaltfreiheit der Durchführung der Versammlung
      ausgerichtet sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2000 -
      1 BvR 1245/00 - NJW 2000, S. 3051 <3053>; vom 1. Mai
      2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, S. 2078 <2079>). Die
      Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben indes
      nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich die
      Verantwortlichen in einem auf die konkrete Versammlung
      bezogenen Aufruf ausdrücklich von Gewaltanwendung distanziert
      und insoweit Anstrengungen unternommen haben, die auf einen
      gewaltfreien Verlauf der geplanten Versammlung abzielen.
      Zutreffend verweist der Beschwerdeführer auf die am 12. Juli
      2009 veröffentlichte Rubrik „Was wir möchten und was nicht“
      auf dem Internetportal „Antikriegstag 2009“, in der Anwendung
      von Gewalt zur Durchsetzung des Demonstrationsanliegens
      abgelehnt wird. Entgegen der Auffassung des
      Verwaltungsgerichts kann aus dem Satz der Ablehnung von
      „sinnloser Gewalt“ gegen Polizisten und Andersdenkende“ auch
      nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass zwischen
      unerwünschter „sinnloser“ Gewalt und gerechtfertigter
      „sinnvoller“ Gewalt, differenziert wird. Der vorangehende und
      der nachfolgende Text des Aufrufs stehen einer solchen
      Auslegung entgegen. 


16  


Entgegen der Auffassung des
      Oberverwaltungsgerichts wird diese nach außen hin
      kommunizierte Distanzierung von Gewalt auch nicht dadurch
      entwertet, dass der Beschwerdeführer schriftsätzlich im
      Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Verhalten von
      Mitgliedern der „Autonomen Nationalisten“ zu erklären suchte.
      Maßgebend ist insoweit der öffentliche, an die potentiellen
      Teilnehmer gerichtete Aufruf zum Gewaltverzicht. Die
      Distanzierungsobliegenheit hat zwar auch die Funktion, den
      zuständigen Behörden aufzuzeigen, ob die für die Organisation
      und Durchführung verantwortlichen Personen zuverlässige
      Ansprechpartner sind. Das allein in Form der
      Rechtsverteidigung geäußerte Vorbringen ist jedoch erkennbar
      von dem Anliegen getragen, die Bedenken der
      Versammlungsbehörde im Hinblick auf die Aktivierung der
      bedingten Gewaltbereitschaft der „Autonomen Nationalisten“
      auf der geplanten Versammlung zu zerstreuen und zu
      verhindern, dass die Versammlungsbehörde allein das mögliche
      Erscheinen der „Autonomen Nationalisten“ als Anlass für ein
      Verbot genügen lässt. Daraus kann im konkreten Kontext nicht
      geschlossen werden, der Beschwerdeführer werde in seiner
      Eigenschaft als Versammlungsleiter dulden oder fördern, dass
      die Versammlung die Schwelle der Gewaltanwendung
      überschreitet. Die Versammlungsbehörde und die
      Verwaltungsgerichte hätten berücksichtigen müssen, dass der
      Beschwerdeführer unwidersprochen vorgetragen hat, seit fast
      zehn Jahren als Versammlungsleiter tätig zu sein und nahezu
      Hundert Versammlungen durchgeführt zu haben, ohne dass eine
      Versammlung unfriedlich verlaufen sei. Das Gegenteil dieser
      Behauptung ist von den Verwaltungsgerichten nicht
      festgestellt worden. Des Weiteren hätten die
      Verwaltungsgerichte den Umstand einbeziehen müssen, dass der
      Beschwerdeführer die Polizei ermutigt hat, frühzeitig und
      konsequent von ihren präventiven Kontrollbefugnissen im
      Vorfeld der geplanten Versammlung Gebrauch zu machen. Die
      Distanzierung wird auch nicht dadurch entwertet, dass auf
      einer Internetseite der „Autonomen Nationalisten“ ein
      Flugblatt des Veranstalters der geplanten Versammlung
      veröffentlicht wurde, in dem dieser die Anwendung von Gewalt
      auf Seiten der „Autonomen Nationalisten“ auf der 1.
      Mai-Versammlung im Jahr 2009 leugnet. Zudem bezieht sich das
      Flugblatt nicht auf die konkrete Versammlung. 


17  


e) Ein Versammlungsverbot scheidet aus,
      solange mildere Mittel nicht ausgeschöpft sind (vgl. BVerfGE
      69, 315 <353>). Die Versammlungsbehörde und die
      Verwaltungsgerichte haben im vorliegenden Fall alternative
      Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie
      beispielsweise versammlungsrechtliche Auflagen oder den
      frühzeitigen und verstärkten Einsatz polizeilicher
      Vorabkontrollen nicht hinreichend geprüft und mit tragfähiger
      Begründung ausgeschieden. 


18  


5. Die Auslagenentscheidung beruht auf
      § 34a Abs. 3 BVerfGG. 


   




Papier 
Eichberger 
Masing