Fall 62
Aktenzeichen: 1 BvR 2150/08
Beck Online: NJW 2010 47.0

cid 62 
 L e i t s ä t z e 
zum Beschluss des Ersten Senats vom 4.
      November 2009 
- 1 BvR 2150/08 - 


                                § 130 Abs. 4 StGB ist auch als
        nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1
        und 2 GG vereinbar. Angesichts des sich allgemeinen
        Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die
        die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite
        Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf
        hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik
        Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für
        Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der
        nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
        Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts
        für meinungsbezogene Gesetze immanent.
                             
                                Die Offenheit des Art. 5 Abs. 1
        und 2 GG für derartige Sonderbestimmungen nimmt den
        materiellen Gehalt der Meinungsfreiheit nicht zurück. Das
        Grundgesetz rechtfertigt kein allgemeines Verbot der
        Verbreitung rechtsradikalen oder auch
        nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die
        geistige Wirkung seines Inhalts.
                          


   


BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 2150/08 - 

 

 

 

Im Namen des Volkes 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   


des Rechtsanwalts R…, verstorben am 29. Oktober
      2009, 


   





gegen 

das Urteil des
          Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2008 - BVerwG 6 C
          21.07 - 




   


hat das Bundesverfassungsgericht - Erster
      Senat - unter Mitwirkung der Richterin und Richter 

 
      Präsident Papier, 
      Hohmann-Dennhardt, 
      Bryde, 
      Gaier, 
      Eichberger, 
      Schluckebier, 
      Kirchhof, 
      Masing 


   


am 4. November 2009 beschlossen: 


   


Die Verfassungsbeschwerde wird
      zurückgewiesen. 


   


Gründe: 

 

A. 


1  


Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich
      der Beschwerdeführer gegen ein Revisionsurteil des
      Bundesverwaltungsgerichts, welches das versammlungsrechtliche
      Verbot einer für den 20. August 2005 angemeldeten Rudolf
      Heß-Gedenkkundgebung in Wunsiedel zum Gegenstand hat.
      Gestützt ist die Entscheidung auf § 15 Abs. 1 des
      Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (in der Neufassung
      vom 15. November 1978, BGBl I S. 1789
      <1791> - Versammlungsgesetz ) in
      Verbindung mit § 130 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs
      (StGB). Der Beschwerdeführer wendet sich sowohl gegen
      § 130 Abs. 4 StGB selbst als auch gegen dessen
      Auslegung im konkreten Fall. 

 

I. 


2  


Die Vorschrift des § 130 Abs. 4 StGB
      wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes
      und des Strafgesetzbuchs vom 24. März 2005 in das
      Strafgesetzbuch eingeführt und trat mit Wirkung zum
      1. April 2005 in Kraft (BGBl I S. 969 <970>).
      Sie lautet: 


3  


(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
      mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer
      Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der
      Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die
      nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt,
      verherrlicht oder rechtfertigt. 


4  


Versammlungsrechtlich erlangt § 130
      Abs. 4 StGB wegen § 15 Abs. 1 VersG Bedeutung.
      Dieser lautet: 


5  


(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung
      oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen
      abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der
      Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit
      oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
      Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. 


6  


Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist
      nach dieser Vorschrift unter anderem dann anzunehmen, wenn
      die Verletzung von Strafrechtsnormen droht (vgl. BVerfGE 69,
      315 <352>). 

 

II. 


7  


1. Der Beschwerdeführer meldete im Voraus bis
      in das Jahr 2010 jährlich wiederkehrend, darunter auch für
      den 20. August 2005, eine Veranstaltung unter freiem Himmel
      in der Stadt Wunsiedel mit dem Thema „Gedenken an Rudolf Heß“
      an. Dort befindet sich das Grab von Rudolf Heß. In diesem
      Jahr sollte die geplante Veranstaltung zusätzlich das Motto
      tragen „Seine Ehre galt ihm mehr als die Freiheit“. 


8  


Mit Bescheid vom 29. Juni 2005 verbot das
      Landratsamt unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die
      Veranstaltung sowie jede Form von Ersatzveranstaltungen
      sowohl unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen
      im Bereich des Stadtgebiets Wunsiedel. Anträge auf
      vorläufigen Rechtsschutz blieben durch alle Instanzen
      erfolglos. Gegen den Bescheid vom 29. Juni 2005 erhob der
      Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht Klage in der
      Hauptsache, die mit Urteil vom 9. Mai 2006 abgewiesen
      wurde (B 1 K 05.768). Die hiergegen gerichtete Berufung wies
      der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom
      26. März 2007 gleichfalls zurück
      (24 B 06.1894, juris Rn. 16 ff.). 


9  


2. Mit hier angegriffenem Urteil vom 25. Juni
      2008 wies das Bundesverwaltungsgericht auch die Revision des
      Beschwerdeführers zurück (BVerwGE 131, 216). 


10  


a) Das Verbot könne auf die Gefahr der
      Verwirklichung des § 130 Abs. 4 StGB gestützt
      werden. Dieser sei ein „allgemeines Gesetz“ im Sinne von
      Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG, das den
      verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge. Allgemeine
      Gesetze seien alle Gesetze, die nicht eine Meinung als solche
      verböten, sondern dem Schutz eines ohne Rücksicht auf eine
      bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienten, das in
      der Rechtsordnung allgemein und unabhängig davon geschützt
      sei, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise
      verletzt werden könne (Verweis auf BVerfGE 7, 198
      <209 f.>; 111, 147 <155>; 120, 180
      <200>). Das sei bei § 130 Abs. 4 StGB der
      Fall. Die Bestimmung verfolge den Schutz des Rechtsguts
      „öffentlicher Friede“ sowie den Schutz der Menschenwürde der
      Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft. Der öffentliche Friede werde in der
      Rechtsordnung nicht nur vor Meinungsäußerungen bewahrt,
      sondern auch vor anderen Angriffshandlungen. Auch Art. 1
      Abs. 1 GG schütze die Menschenwürde als obersten
      Verfassungswert des Grundgesetzes und dessen tragendes
      Konstitutionsprinzip vor Eingriffen jeglicher
      Art. Mithin sei § 130 Abs. 4 StGB ein
      allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2
      Alternative 1 GG, obwohl die Vorschrift gegen bestimmte
      Meinungsinhalte gerichtet sei. 


11  


Auch allgemeine Gesetze müssten mit der
      Verfassungsordnung in Einklang stehen. Die Menschenwürde
      setze der Meinungsfreiheit dabei jedoch schon eine absolute
      Grenze. Auch bei dem öffentlichen Frieden handele es sich um
      einen gewichtigen Gemeinwohlbelang, der geeignet sei, der
      Meinungsfreiheit Schranken zu setzen. § 130 Abs. 4
      StGB lasse es zu, bei seiner Auslegung sowohl dem besonderen
      Rang der Meinungsfreiheit als auch dem Gewicht der
      geschützten Rechtsgüter hinreichend Rechnung zu tragen. 


12  


§ 130 Abs. 4 StGB verletze auch
      nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Angesichts der in
      mehrfacher Hinsicht jede historische Dimension sprengenden,
      von Deutschen im Namen des deutschen Volkes begangenen
      Menschenrechtsverletzungen durch die nationalsozialistische
      Gewalt- und Willkürherrschaft sei es auch mit Blick auf das
      Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG, Sachverhalte von
      gleicher Art und gleichem Gewicht gleich zu behandeln, nicht
      zu beanstanden, dass sich § 130 Abs. 4 StGB auf die
      positive Bewertung der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft beschränke. Darin liege auch keine
      Verletzung des besonderen Gleichheitssatzes von Art. 3
      Abs. 3 GG. 


13  


Schließlich laufe § 130 Abs. 4 StGB
      nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG
      zuwider. Sämtliche Tatbestandsmerkmale seien entweder aus
      sich selbst heraus oder aus dem Zusammenhang mit anderen
      Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, wo sie bereits eine
      Konkretisierung erfahren hätten, hinreichend bestimmbar. 


14  


§ 130 Abs. 4 StGB verstoße auch
      nicht gegen das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung im
      Sinne von Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen
      Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
      (EMRK). Der Schutz des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK
      reiche vorliegend nicht weiter als derjenige von Art. 5
      Abs. 1 Satz 1 GG, wie die Rechtsprechung des
      Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesen Fällen
      zeige. 


15  


b) Für die in Frage stehende Versammlung sei
      mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon
      auszugehen gewesen, dass der Tatbestand des § 130
      Abs. 4 StGB erfüllt worden wäre. Die Versammlungsbehörde
      habe die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden
      Anforderungen bei der Auslegung der hier in Rede stehenden
      Tatbestandsmerkmale ausreichend berücksichtigt. 


16  


Mit dem Merkmal „nationalsozialistische
      Gewalt- und Willkürherrschaft“ habe der Gesetzgeber die
      Begrifflichkeit des § 194 StGB verwendet. Die in Bezug
      genommenen Maßnahmen seien abzugrenzen von staatlichen
      Maßnahmen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, die
      nicht Ausdruck gerade der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft seien, sondern übliches Regierungshandeln
      darstellten. Die nationalsozialistische Gewalt- und
      Willkürherrschaft sei gekennzeichnet durch den totalen
      Machtanspruch des Staates und die Leugnung von Menschenwürde,
      Freiheit und Gleichheit. Dementsprechend müssten sich
      Äußerungen im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB auf die
      von dem nationalsozialistischen Regime systematisch
      begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen beziehen.
      Meinungsäußerungen, die einzelne Aspekte der damaligen
      Staats- und Gesellschaftsordnung positiv bewerteten, bei
      denen sich aber kein Bezug zur nationalsozialistischen
      Gewalt- und Willkürherrschaft und den sie kennzeichnenden
      Menschenrechtsverletzungen herstellen lasse, erfüllten nicht
      den Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB. 


17  


Die nationalsozialistische Gewalt- und
      Willkürherrschaft „billige“, wer sie gutheiße. Eine
      konkludente Billigung reiche aus. Im Sinne von § 130
      Abs. 4 StGB könne eine solche auch dann vorliegen, wenn
      Verantwortungsträger oder Symbolfiguren des
      nationalsozialistischen Regimes positiv bewertet würden.
      Voraussetzung hierfür sei, dass aus dem Äußerungszusammenhang
      deutlich werde, dass die betreffende Person auch als Symbol
      für die Herrschaft des Nationalsozialismus als solche
      verstanden werde. Denn die Herrschaft des Nationalsozialismus
      in den Jahren zwischen 1933 bis 1945 habe zu einem
      wesentlichen Teil aus Gewalt- und Willkürherrschaft
      bestanden; infolgedessen schließe die Billigung des Regimes,
      wenn sie durch positive Hervorhebung einer Führungsperson
      ohne Einschränkungen zum Ausdruck gebracht werde, die
      Billigung der ausgeübten Gewalt- und Willkürherrschaft ein.
      Dagegen erfüllten positive Äußerungen über einzelne - auch
      führende - Nationalsozialisten, die nur deren Person gälten
      und nicht mit einer Billigung des nationalsozialistischen
      Herrschaftssystems oder seiner Menschenrechtsverletzungen
      verbunden seien, den Straftatbestand des § 130
      Abs. 4 StGB nicht. Das sei selbst dann der Fall, wenn
      ihnen die Absicht zugrunde liege, den Nationalsozialismus zu
      verharmlosen oder von Vorwürfen zu entlasten. Solche
      Äußerungen stünden - ebenso wie positive Sachaussagen über
      bestimmte Aspekte des Nationalsozialismus ohne Bezug zur
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft - unter
      dem Schutz der Meinungsfreiheit. 


18  


Bei Durchführung der streitigen Versammlung
      wäre die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft
      in der dargelegten Weise gebilligt worden. Es habe die
      unmittelbare Gefahr bestanden, dass bei Durchführung der
      Versammlung für ein unvoreingenommenes und verständiges
      Durchschnittspublikum am Ort der Versammlung klar erkennbar
      die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft
      durch eine besondere positive Hervorhebung der Person von
      Rudolf Heß gebilligt worden wäre. Dies folge bei Wahrung der
      sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden
      Grundsätze aus Äußerungen im Zusammenhang mit der streitigen
      Versammlung und mit entsprechenden Veranstaltungen, die in
      den Vorjahren jeweils anlässlich des Todestages von Rudolf
      Heß in Wunsiedel stattgefunden hätten. Nach den tatsächlichen
      Feststellungen der Vorinstanz sei davon auszugehen, dass die
      umstrittene Versammlung mit früheren Veranstaltungen (auch)
      hinsichtlich der Äußerungen zu der Person Rudolf Heß im
      Wesentlichen vergleichbar abgelaufen wäre. 


19  


Die beabsichtigte Ehrung von Rudolf Heß sei
      demnach nicht auf Teilaspekte seiner Person oder seines
      Handelns beschränkt gewesen. Vielmehr hätte Rudolf Heß als
      Person insgesamt vorbehaltlos und in einer weiteren
      Steigerungen nicht mehr zugänglichen Weise positiv bewertet
      werden sollen, wie sich aus dem Thema, Motto und Ort der
      Veranstaltung sowie den Darstellungen von Rudolf Heß etwa als
      Märtyrer oder als bis in den Tod unbeugsamen Getreuen auf den
      entsprechenden Versammlungen der Vorjahre zeige. Dabei ergebe
      sich aus den konkreten Umständen insbesondere, dass die
      Ehrung auch - und gerade - Rudolf Heß in seiner
      Eigenschaft als führendem Nationalsozialisten und
      „Stellvertreter des Führers“ hätte gelten sollen. Insgesamt
      hätte es sich bei der geplanten Versammlung um eine
      glorifizierende und mythologisierende Hervorhebung von Rudolf
      Heß als uneingeschränkt positiver Leitfigur mit gleichsam
      kultischen und religiösen Zügen gehandelt. 


20  


Bei der gebotenen Gesamtwürdigung dränge es
      sich danach auf, dass die Überhöhung der Person Rudolf Heß
      als stillschweigende Billigung des nationalsozialistischen
      Regimes in allen seinen Erscheinungsformen und damit auch als
      Gutheißen der von diesem Regime ausgeübten Gewalt- und
      Willkürherrschaft wahrgenommen worden wäre. Es komme hierbei
      nicht darauf an, dass - soweit ersichtlich - die
      das nationalsozialistische Regime kennzeichnenden
      Menschenrechtsverletzungen nicht ausdrücklich gebilligt
      worden wären. Ebenso wenig sei entscheidungserheblich, ob bei
      isolierter Betrachtung einzelner Äußerungen diese mehrdeutig
      und in Betracht kommende Deutungsvarianten nicht als
      Gutheißen der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft anzusehen seien. Entscheidend sei vielmehr,
      dass bei einer Gesamtwürdigung aller Äußerungen vor dem
      Hintergrund der Begleitumstände für einen damit vertrauten,
      unvoreingenommenen und verständigen Betrachter am Ort der
      geplanten Versammlung klar erkennbar geworden wäre, dass das
      nationalsozialistische Regime in seiner Gesamtheit
      einschränkungslos hätte gebilligt werden sollen. 


21  


Die Versammlungsbehörde habe auch zu Recht mit
      einer Verletzung der Würde der Opfer der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
      gerechnet. Unter der Verletzung der Würde der Opfer sei eine
      Verletzung der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG
      zu verstehen. Hiervon sei vorliegend auszugehen, weil es bei
      Durchführung der Versammlung zu einer uneingeschränkten
      Billigung des gesamten nationalsozialistischen
      Herrschaftssystems gekommen wäre mitsamt seiner
      verbrecherischen Untaten und damit insbesondere auch der
      menschenverachtenden Verfolgung und Ermordung von Millionen
      Juden aus rassischen Gründen. In der erkennbaren
      Identifikation mit der nationalsozialistischen
      Rassenideologie liege aber stets ein Angriff auf die
      Menschenwürde der getöteten und überlebenden Opfer dieser
      Ideologie. 


22  


Schließlich wäre bei Durchführung der
      Versammlung auch eine Störung des öffentlichen Friedens
      eingetreten. Die Veranstaltung wäre voraussichtlich in der
      Öffentlichkeit nicht unbemerkt geblieben, sondern hätte weit
      über Wunsiedel hinaus Beachtung gefunden und insbesondere bei
      überlebenden Opfern und bei den Nachkommen der getöteten
      Opfer die verständliche Angst vor künftigen Angriffen auf
      ihre Menschenwürde ausgelöst. 

 

III. 


23  


Mit seiner am 6. August 2008 eingelegten
      Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine
      Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte
      aus Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 4
      Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8
      Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG sowie einen
      Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK. 


24  


Hierzu führt er im Wesentlichen aus:
      § 130 Abs. 4 StGB sei kein allgemeines Gesetz im
      Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG, da er sich gegen eine
      bestimmte politische Richtung wende. Es sei nicht
      verständlich, warum nur die Opfer der nationalsozialistischen
      Gewalt- und Willkürherrschaft strafrechtlich geschützt seien.
      In Art. 1 Abs. 1 GG werde die Menschenwürde
      insgesamt unter Schutz gestellt. Die Menschenwürde sei nur
      dann betroffen, wenn der Kernbereich der Persönlichkeit
      berührt werde. Dass die Menschenwürde von Opfern des
      Nationalsozialismus in dieser Weise verletzt werde, wenn
      Rudolf Heß als „Friedensflieger“ und „Märtyrer“ bezeichnet
      werde oder seiner insgesamt in Ehren gedacht werde, sei
      fernliegend. Selbst wenn § 130 Abs. 4 StGB
      verfassungsgemäß sein sollte, sei er jedenfalls nicht auf den
      Fall der Ehrung von Rudolf Heß anzuwenden. Außerdem sei
      Art. 3 GG verletzt, weil nur Gewalt- und
      Willkürmaßnahmen des Nationalsozialismus, nicht aber etwa
      auch des Kommunismus, genannt seien. Es sei falsch, dass die
      Menschenrechtsverletzungen unter dem Nationalsozialismus jede
      historische Dimension sprengten, wie Beispiele aus der
      Geschichte zeigten. Auch Maos rote Garden oder die spanischen
      Eroberer hätten Millionen Menschen umgebracht; ebenso seien
      Millionen Indianer in Nordamerika oder „Klassengegner“ in
      Kambodscha ermordet worden. Dass diese Opfer quantitativ und
      qualitativ weniger bedeutsam seien als die Opfer des
      Nationalsozialismus, sei nicht verständlich. Es gebe in der
      Geschichte auch andere Gewalt- und Willkürregimes,
      insbesondere die kommunistischen Diktaturen. 


25  


§ 130 Abs. 4 StGB verletze zudem das
      Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Neben
      den Tathandlungen „Billigen“, „Rechtfertigen“ und
      „Verherrlichen“ sei insbesondere das Tatbestandsmerkmal des
      öffentlichen Friedens nicht hinreichend bestimmt. Diese
      Tatbestandsmerkmale böten Raum für eine uferlose Auslegung.
      Wenn irgendeine Person des „Dritten Reichs“ wie Rudolf Heß
      geehrt werden solle, erfülle dies nicht den Tatbestand des
      § 130 Abs. 4 StGB. Eine andere Auffassung führe
      dazu, dass letztlich jede billigende Äußerung zu
      irgendwelchen Maßnahmen des „Dritten Reichs“ strafbar
      sei. 


26  


In Fragen, welche die Öffentlichkeit
      wesentlich berührten, gelte die Vermutung für die
      Zulässigkeit der freien Rede. Rudolf Heß sei bei den
      vergangenen Veranstaltungen ohne Bezug zu irgendwelchen
      Verfolgungsmaßnahmen im Nationalsozialismus geehrt worden. So
      sei es auch bei künftigen Veranstaltungen geplant. § 130
      Abs. 4 StGB sei auf die Ehrung von Rudolf Heß nicht
      anwendbar, es sei denn, er würde ausdrücklich deshalb geehrt,
      weil er beispielsweise die Nürnberger Gesetze unterschrieben
      habe. Dies sei jedoch nicht der Fall. Dass die konkludente
      Billigung so weit verstanden werde, sei willkürlich und
      verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Es sei
      widersprüchlich, einerseits zu behaupten, dass „positive
      Äußerungen über Einzelne, die nur der Person gelten, nicht
      von § 130 Abs. 4 StGB erfasst sein sollen“,
      anderseits die Ehrung von Rudolf Heß aber doch unter die
      Vorschrift zu subsumieren. Rudolf Heß sei infolge eklatanter
      Verletzung juristischer Grundsätze (keine Strafe ohne Gesetz)
      vom Internationalen Militärgerichtshof verurteilt worden. Er
      habe seine Verurteilung nie anerkannt und deswegen nie um
      Gnade bitten wollen. Seine Ehre habe ihm deshalb tatsächlich
      mehr als die Freiheit gegolten. Warum die positive Bewertung
      von Rudolf Heß im Blick darauf, dass er „für den Frieden
      eingekerkert“ gewesen sei oder Friedensgespräche geführt
      habe, irgendeinen Bezug zu Unrechtshandlungen im
      Nationalsozialismus haben solle, sei nicht ersichtlich. Es
      sei nicht nachvollziehbar, dass der Veranstaltungsort für die
      Subsumtion unter § 130 Abs. 4 StGB eine Rolle
      spiele. Wenn die Veranstaltung auf dem
      „Reichsparteitagsgelände“ stattfinden würde, sei unter
      Umständen ein Bezug zum „Dritten Reich“ gegeben, so jedoch
      nicht. Ebenfalls sei in keinem Redebeitrag auf vergangenen
      Veranstaltungen behauptet worden, dass Rudolf Heß im Auftrag
      von Hitler nach Großbritannien geflogen sei. Richtig sei,
      dass Rudolf Heß sich bei seinen Friedensbemühungen auf seine
      Funktion als Stellvertreter Hitlers berufen habe. Eine
      stillschweigende Billigung des nationalsozialistischen
      Regimes in allen seinen Erscheinungsformen scheide im Übrigen
      deshalb aus, weil Rudolf Heß wegen seines Friedensflugs von
      der Partei ausgeschlossen und von Hitler als verrückt
      bezeichnet worden sei. Seine Familie sei verfolgt worden. 


27  


Auch die Annahme einer in der Versammlung
      liegenden Menschenwürdeverletzung sei nicht tragfähig. Aus
      den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts werde
      deutlich, dass entgegen den abstrakten Maßstäben doch
      unzulässigerweise aus der Billigung des
      nationalsozialistischen Herrschaftssystems quasi automatisch
      auf eine Menschenwürdeverletzung geschlossen werde. Soweit
      das Bundesverwaltungsgericht insoweit eine Verbindung zur
      nationalsozialistischen Rassenideologie herstelle, sei darauf
      hinzuweisen, dass dieser Aspekt oder ähnliche Gesichtspunkte
      auf einer Veranstaltung unter der Leitung des
      Beschwerdeführers nie angesprochen worden seien. Das
      Bundesverwaltungsgericht habe ohne tatsächliche Anhaltspunkte
      die Gefahr einer Störung des öffentlichen Friedens bejaht.
      Dass „die Veranstaltung voraussichtlich in der Öffentlichkeit
      nicht unbemerkt geblieben wäre“, sei insoweit kein zulässiges
      Kriterium. Auch dass die Veranstaltung „insbesondere bei
      überlebenden Opfern und bei den Nachkommen der getöteten
      Opfer die verständliche Angst vor künftigen Angriffen auf
      ihre Menschenwürde und vor der gefährlichen Ausbreitung des
      zugrunde liegenden Gedankenguts auslösen würde“, werde nur
      behauptet, nicht aber belegt. 

 

IV. 


28  


Zu dem Verfahren haben die Bundesregierung und
      die Landesanwaltschaft Bayern inhaltlich Stellung
      genommen. 


29  


1. Die Bundesregierung führt zur
      Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen Folgendes aus: 


30  


a) § 130 Abs. 4 StGB sei mit
      Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar. Es sei bereits
      zweifelhaft, ob die von § 130 Abs. 4 StGB
      sanktionierten Handlungen überhaupt vom Schutz der
      Meinungsfreiheit umfasst seien. Rechtsextremistische
      Versammlungen, in deren Rahmen die nationalsozialistische
      Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne von § 130
      Abs. 4 StGB gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt
      werde, entfalteten, indem sie die Existenzberechtigung von
      ganzen Bevölkerungsgruppen verneinten, eine
      außerargumentative Druckwirkung. 


31  


Jedenfalls sei § 130 Abs. 4 StGB ein
      allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2
      Alternative 1 GG, da er nicht eine Meinung als solche
      verbiete, sondern dem Schutz höchstrangiger Rechtsgüter
      diene. Schutzgut sei zum einen der öffentliche Friede, zum
      anderen aber auch die Würde der Opfer der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft.
      Gemeint sei damit die Menschenwürde im Sinne von Art. 1
      Abs. 1 GG. § 130 Abs. 4 StGB sei auf diese
      Weise auch von der Schranke des Rechts der persönlichen Ehre
      gedeckt. 


32  


Die Abwägung gehe zugunsten der Schutzgüter
      des öffentlichen Friedens und der Würde der Opfer aus. Dabei
      scheide eine Abwägung der Meinungsfreiheit mit der
      Menschenwürde der Opfer aus Art. 1 Abs. 1 GG von
      vornherein aus; der Schutz der Menschenwürde habe stets
      Vorrang vor anderen Rechtsgütern. Aber auch dem Schutz des
      öffentlichen Friedens komme vorliegend gegenüber der
      Meinungsfreiheit Vorrang zu. Meinungsäußerungen im Sinne von
      § 130 Abs. 4 StGB gefährdeten die Freiheit des
      öffentlichen Diskurses, indem sie ihrerseits eine
      einschüchternde Wirkung entfalteten, weil sie sich zumindest
      implizit immer auch gegen die Existenzberechtigung von
      anderen Menschen oder ganzen Bevölkerungsgruppen richteten,
      so dass sie neben der offenen Meinungskundgabe die Botschaft
      einer latenten Gewaltbereitschaft und Bedrohung dieser
      Gruppen transportierten. Der öffentliche Friede schütze die
      geistige Auseinandersetzung vor illegitimen, „ungeistigen“
      Einschüchterungs- und Bedrohungshandlungen. In diesem
      Zusammenhang könne nicht davon abstrahiert werden, dass es
      bereits eine Vielzahl von Brandanschlägen und gewaltsamen
      Übergriffen gegen Ausländer mit tödlichem Ausgang gegeben
      habe. Das bedeute, dass der von rechtsextremistischen
      Aufmärschen ausgehende Einschüchterungseffekt seine Wirkung
      vor dem Hintergrund schon begangener Gewalttaten entfalte.
      § 130 Abs. 4 StGB richte sich gegen diese
      „Vergiftung“ des politischen und gesellschaftlichen Klimas.
      Ziel sei es, das Entstehen eines Meinungsklimas zu
      verhindern, in dem - auch zur Erlangung politischer
      Macht - bestimmte Menschen und Bevölkerungsgruppen
      zunächst ausgegrenzt und letztlich physischer Gewalt
      ausgesetzt würden. 


33  


Selbst wenn man § 130 Abs. 4 StGB
      nicht als „allgemeines Gesetz“ qualifiziere, sei die
      Vorschrift durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß
      Art. 5 Abs. 2 Alternative 3 GG gerechtfertigt.
      Ehrschützende Vorschriften dürften dabei auch als Sonderrecht
      Meinungen als solche wegen ihres Inhalts verbieten. Dass die
      Norm dem Schutz der persönlichen Ehre diene, ergebe sich aus
      deren tatbestandlicher Ausgestaltung sowie aus den
      Gesetzesmaterialien. Diesem Normverständnis könne auch nicht
      entgegengehalten werden, dass § 130 Abs. 4 StGB nur
      den Schutz der Würde verstorbener Opfer bezwecke, während
      Träger des Rechts der persönlichen Ehre nur lebende Personen
      sein könnten. Das Wort „Opfer“ bezeichne ohne Frage auch
      überlebende Personen. Abgesehen davon sei mit der Verletzung
      der Würde der Opfer des Nationalsozialismus auch eine
      Verletzung der Würde ihrer Nachfahren verbunden. Schließlich
      schütze die Norm auch das postmortale Persönlichkeitsrecht
      der verstorbenen Opfer und könne auch unter diesem
      Gesichtspunkt auf die Schranke der persönlichen Ehre gestützt
      werden. Der Einwand, dieses könne nur einzelne
      identifizierbare Personen schützen, nicht aber alle Opfer des
      Nationalsozialismus insgesamt, gehe fehl. Ein solch enges
      Verständnis des postmortalen Persönlichkeitsrechts möge
      vielleicht unter „normalen“ Umständen angebracht sein; in
      Bezug auf die Opfer von nationalsozialistischen Verbrechen
      sei dies jedenfalls berechtigterweise nicht der Fall. 


34  


Die Meinungsfreiheit müsse im Kollisionsfall
      stets hinter den Schutz der Menschenwürde zurücktreten.
      Selbst wenn man davon ausginge, dass im Einzelfall
      ausnahmsweise nicht der absolut unantastbare und
      abwägungsfeste Kernbereich der Menschenwürde, sondern nur
      eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
      der Opfer durch die Erfüllung des Tatbestandes des § 130
      Abs. 4 StGB vorläge, so wöge die Beeinträchtigung der
      beiden geschützten Rechtsgüter „öffentlicher Friede“ und
      „Würde der Opfer des Nationalsozialismus“ immer noch schwer
      genug, damit sich die vom demokratisch legitimierten
      Gesetzgeber getroffene Konkordanzentscheidung zwischen der
      Meinungsfreiheit und den beiden Schutzgütern insbesondere in
      Form der konkreten Ausgestaltung des § 130 Abs. 4
      StGB als verhältnismäßig erweise. Gegen die
      Verhältnismäßigkeit der Norm spreche auch nicht, dass bei
      Meinungsbeiträgen, die dem geistigen Meinungskampf in einer
      die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage dienten, die
      Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede gelte. Denn eine
      Äußerung, die unter § 130 Abs. 4 StGB falle, sei
      von vornherein kein Beitrag, der dem geistigen Meinungskampf
      in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage
      diene. Ähnlich einer „Schmähkritik“ stehe hier die Verletzung
      der Würde der Opfer im Vordergrund. 


35  


b) § 130 Abs. 4 StGB verstoße auch
      nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, da die verwendeten
      Begriffe mit den Mitteln herkömmlicher Auslegung aufgrund
      anderer Vorschriften des Strafgesetzbuchs und der
      strafgerichtlichen Rechtsprechung konkretisierbar seien. So
      werde der Begriff der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft in § 194 StGB verwendet. Hierunter sei
      ein Herrschaftssystem zu verstehen, das sich über elementare
      Menschenrechte hinwegsetze. Mit diesem Begriff werde die
      Abgrenzung zu sonstigem staatlichen Handeln dieser Zeit
      geleistet. Auch die Tathandlungen des Billigens,
      Rechtfertigens und Verherrlichens knüpften an gängige,
      hinreichend bestimmte Rechtsbegriffe aus anderen Tatbeständen
      an. Die Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft sei auch durch Gedenken an Symbolfiguren
      und Verantwortungsträger des NS-Regimes möglich. Eine
      Auslegung, die eine ausdrückliche Gutheißung fordere oder nur
      die Ehrung solcher Symbolfiguren des Nationalsozialismus
      ausreichen lasse, die in besonderer Weise systematische
      Würdeverletzungen organisiert oder durchgeführt hätten, werde
      dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und
      Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Mit Art. 103
      Abs. 2 GG unvereinbar sei nur eine objektiv unhaltbare
      und deshalb willkürliche Auslegung. Dies sei bei der Annahme,
      § 130 Abs. 4 StGB erfasse auch die Gutheißung der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft durch
      die besondere Ehrung eines Verantwortungsträgers oder einer
      Symbolfigur des NS-Regimes, jedoch nicht der Fall. Hierfür
      spreche zunächst der allgemeine Wortsinn, wonach „Herrschaft“
      stets von Menschen getragen und insbesondere eine Diktatur in
      besonderer Weise personal geprägt sei. Ebenfalls zeige die
      Entstehungsgeschichte, dass nach dem Willen des Gesetzgebers
      auch solche Konstellationen von § 130 Abs. 4 StGB
      erfasst sein sollten. Weiter stelle der Begriff der Billigung
      nicht auf eine bestimmte Tat, sondern auf die Gewalt- und
      Willkürherrschaft als solche ab und umfasse dabei auch die
      bloß konkludente Billigung. Schließlich entspreche es Sinn
      und Zweck des § 130 Abs. 4 StGB, dass derartige
      Ehrbekundungen als Vorwand zur Verbreitung
      nationalsozialistischen Gedankenguts und Gutheißung des
      NS-Regimes als Ganzes beurteilt würden. Eine solche Auslegung
      halte sich jedenfalls dann in dem durch Art. 103
      Abs. 2 GG gesetzten Rahmen, wenn die entsprechende
      Symbolfigur des NS-Regimes an einer der Gewalt- und
      Willkürherrschaft zuzurechnenden Maßnahme beteiligt gewesen
      sei. 


36  


Hinreichend bestimmt sei auch das Merkmal der
      Verletzung der Würde der Opfer. Der Begriff „Opfer“ erfasse
      nicht nur verstorbene Personen, sondern auch solche, die die
      Verfolgung durch den Nationalsozialismus überlebt hätten.
      Unter einer Verletzung der Würde der Opfer sei die Verletzung
      von deren Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG zu
      verstehen. Hiervon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn es
      bei Durchführung der Versammlung zu einer uneingeschränkten
      Billigung des gesamten nationalsozialistischen
      Herrschaftssystems samt seiner verbrecherischen Untaten
      komme. 


37  


Auch bezüglich des Tatbestandsmerkmals der
      Störung des öffentlichen Friedens bestünden im Blick auf
      Art. 103 Abs. 2 GG keine verfassungsrechtlichen
      Bedenken. Nach seinem Wortsinn setze der Begriff des
      öffentlichen Friedens nicht nur die Erfüllung von
      Sicherheitsbedürfnissen voraus. Vielmehr gehöre hierzu auch
      ein Mindestmaß an Toleranz und ein öffentliches Klima, das
      nicht durch Unruhe, Unfrieden und Unsicherheit gekennzeichnet
      sei und in dem einzelne Bevölkerungsgruppen nicht ausgegrenzt
      würden. Eine solche „Vergiftung des politischen Klimas“ könne
      gerade durch die positive Darstellung der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
      erfolgen. Denn einem solchen System sei es immanent, dass das
      Entstehen eines Meinungsklimas propagiert werde, in dem
      - auch zur Erlangung politischer Macht - bestimmte
      Menschen zunächst ausgegrenzt und letztlich physischer Gewalt
      ausgesetzt würden. Der öffentliche Friede sei gestört, wenn
      offene oder latente Gewaltpotentiale geschaffen würden und
      damit in dem angegriffenen Bevölkerungsteil das Vertrauen in
      die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde. Denn ein
      solches Szenario erschüttere das Vertrauen aller
      Bevölkerungsteile darauf, in der Bundesrepublik Deutschland
      vor gewaltsamen Einwirkungen geschützt zu sein, weil nicht
      die Gewähr bestehe, dass sich Handel und Wandel innerhalb der
      Staatsgrenzen im Einklang mit Gesetz und Verfassung
      vollziehen würden. 


38  


§ 130 Abs. 4 StGB werde in vielen
      Fällen in Verbindung mit einem versammlungsrechtlichen Verbot
      gemäß § 15 Abs. 1 VersG Anwendung finden. Für die
      Frage, ob es hinreichend wahrscheinlich sei, dass eine
      Störung des öffentlichen Friedens eintreten werde, könne
      insoweit auf die höchstrichterliche Judikatur zum Begriff der
      „öffentlichen Ordnung“ im Rahmen von § 15 Abs. 1
      VersG zurückgegriffen werden. Wenn es zulässig sei, die
      Versammlungsfreiheit aufgrund einer Gefährdung der
      „öffentlichen Ordnung“ - zumindest durch Auflagen -
      zu beschränken und hierfür bereits dieser „unbestimmteste
      aller Rechtsbegriffe“ als den Anforderungen des Art. 103
      Abs. 2 GG Rechnung tragend anerkannt sei, dann müsse
      dies erst recht im insoweit wesentlich engeren Rahmen von
      § 130 Abs. 4 StGB gelten. So habe der Gesetzgeber
      durch die ausdrückliche gesetzliche Normierung und
      Konkretisierung dieser Rechtsprechung zur „öffentlichen
      Ordnung“ gerade ein Mehr an demokratischer Legitimation und
      Bestimmtheit geschaffen als dies bisher für Verbote auf
      dieser Grundlage der Fall gewesen sei. 


39  


c) Schließlich sei auch die konkrete
      Rechtsanwendung verfassungsrechtlich tragfähig. Dass die
      nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft
      konkludent gebilligt werde, ergebe sich aus dem Zusammenspiel
      von Veranstaltungsthema („Gedenken an Rudolf Heß“),
      Veranstaltungsort (Begräbnisstätte von Rudolf Heß) sowie
      Veranstaltungsform (Gedenkveranstaltung „mit Trauermarsch“).
      Das Gedenken an Rudolf Heß werde in der Entscheidung des
      Bundesverwaltungsgerichts ausführlich als ein erkennbarer
      Vorwand zur Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts
      sowie zur (schlüssigen) Gutheißung des NS-Regimes enttarnt.
      Rudolf Heß sei auch als eine Symbolfigur des NS-Regimes zu
      bewerten, da er ein führender Repräsentant des NS-Regimes
      gewesen und an einer der Gewalt- und Willkürherrschaft
      zuzurechnenden Maßnahme beteiligt gewesen sei. Dies ergebe
      sich direkt aus seiner Stellung innerhalb der NSDAP, in der
      er ab Dezember 1932 die Position des Leiters der „Politischen
      Zentralkommission“ eingenommen habe und damit nach Adolf
      Hitler zum ranghöchsten Funktionär der Partei aufgerückt sei.
      In der seit dem 1. September 1939 von Adolf Hitler
      verabschiedeten Nachfolgeregelung sei Rudolf Heß im Falle des
      Todes Adolf Hitlers und Hermann Görings als dritter Mann im
      „Dritten Reich“ bestimmt worden. Rudolf Heß habe den
      Röhm-Putsch als sogenannte Staatsnotwehr gerechtfertigt und
      die Nürnberger Rassegesetze vom 15. September 1935
      unterschrieben. Demgegenüber sollte Rudolf Heß in der
      geplanten Versammlung als „Friedensflieger“ und „Märtyrer“
      geehrt werden. Diese Darstellung eines führenden
      Repräsentanten des NS-Regimes als „Opfer“ und im Zusammenhang
      mit Begriffen wie „Frieden“ und „Gerechtigkeit“ verkehre das
      Täter-Opfer-Verhältnis des NS-Regimes in sein Gegenteil,
      bedeute eine Verhöhnung der durch die von Rudolf Heß als
      Führungs- und Symbolfigur des NS-Regimes (mit-)verantworteten
      nationalsozialistischen Willkürmaßnahmen Betroffenen dar und
      verletze hierdurch deren Würde und Achtungsanspruch. Auch die
      zu prognostizierende Gefahr einer Friedensstörung sei zu
      Recht bejaht worden. Durch die angekündigte Veranstaltung zu
      Ehren von Rudolf Heß habe das Entstehen eines von Angst
      geprägten Meinungsklimas unmittelbar bevorgestanden. Die
      Ehrbekundungen gegenüber Rudolf Heß sollten erkennbar eines
      Systems gedenken, dem es immanent gewesen sei, durch
      Propagieren eines solchen Meinungsklimas bestimmte Menschen
      zunächst auszugrenzen und letztlich auch physischer Gewalt
      auszusetzen. 


40  


2. Die Landesanwaltschaft Bayern hält die
      Verfassungsbeschwerde gleichfalls für unbegründet. Ihre
      Darlegungen decken sich weitgehend mit denen der
      Bundesregierung. Darüber hinaus führt sie Folgendes aus: Ob
      es sich bei § 130 Abs. 4 StGB um ein allgemeines
      Gesetz handele, könne dahinstehen. Jedenfalls müsse im Wege
      praktischer Konkordanz bei kollidierenden Grundrechten, hier
      einerseits dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der noch
      lebenden sowie der verstorbenen Opfer des Nationalsozialismus
      aus Art. 1 Abs. 1 GG und anderseits der
      Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers, ein gerechter
      Ausgleich gefunden werden. Zu berücksichtigen sei die
      Dimension des als historisch gesicherte Tatsache anzusehenden
      Rassenmordes an den Juden im „Dritten Reich“ und ihres mit
      normalen Maßstäben nicht zu erfassenden Schicksals. Andere
      Rechtsordnungen, die in vergleichbarer Weise vorbelastet
      seien, schränkten die Grundrechte der Meinungs- und
      Versammlungsfreiheit teilweise noch stärker ein, wie
      beispielsweise die Republik Österreich mit dem Verbotsgesetz
      1947 (StGBl Nr. 13/1945). Darüber hinaus diene der
      Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB ähnlich wie
      derjenige des § 86a StGB der Abwehr einer Wiederbelebung
      des Nationalsozialismus und der Wahrung des politischen
      Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen
      Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen
      Beobachtern des politischen Geschehens vermieden werde. Es
      gebe in Deutschland eine innenpolitische Entwicklung, die
      dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche, den
      Nationalsozialismus billigende, verherrlichende oder
      rechtfertigende Bestrebungen geduldet würden. 

 

V. 


41  


Am 29. Oktober 2009 ist der Beschwerdeführer
      verstorben. 

 

B. 


42  


Über die Verfassungsbeschwerde kann trotz des
      Todes des Beschwerdeführers entschieden werden. Sie ist
      zulässig, soweit mit ihr eine Verletzung der Art. 3
      Abs. 3, Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 in
      Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und
      Art. 103 Abs. 2 GG geltend gemacht wird. Im Übrigen
      ist sie unzulässig. 

 

I. 


43  


Darüber, welche Folgen der Tod des
      Beschwerdeführers auf ein anhängiges
      Verfassungsbeschwerdeverfahren hat, ist gesetzlich nichts
      bestimmt. Zwar ist in der Rechtsprechung des
      Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass sich eine
      Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung höchstpersönlicher
      Rechte des Beschwerdeführers im Falle seines Todes erledigt
      (vgl. BVerfGE 6, 389 <442 f.>; 12, 311
      <315>; 109, 279 <304>; BVerfGK 9, 62 <69>).
      Dieser Grundsatz gilt indes nicht ausnahmslos. Das
      Bundesverfassungsgericht hat bereits früh betont, dass sich
      diese Frage letztlich nur für den einzelnen Fall unter
      Berücksichtigung der Art des angegriffenen Hoheitsakts und
      des Standes des Verfassungsbeschwerdeverfahrens entscheiden
      lässt (vgl. BVerfGE 6, 389 <442>). 


44  


Vorliegend wurde der Beschwerdeführer unter
      mehrmaliger Ablehnung seiner Anträge auf vorläufigen
      Rechtsschutz auf den Rechtsweg in der Hauptsache verwiesen,
      um die sich stellenden schwierigen Fragen zunächst von den
      Fachgerichten klären zu lassen und sie dann gegebenenfalls
      dem Bundesverfassungsgericht in aufbereiteter Form einer
      Prüfung zuzuführen. Er hat mit Blick auf die grundsätzliche
      Bedeutung des Verfahrens und als Versammlungsveranstalter im
      Interesse zahlreicher Betroffener daraufhin den Rechtsweg
      durch drei Instanzen erfolglos durchlaufen und
      Verfassungsbeschwerde erhoben. Beim Tod des Beschwerdeführers
      hatten die Bundesregierung und die Landesanwaltschaft Bayern
      unter Bezugnahme auf die grundlegende Bedeutung der
      Entscheidung etwa für den öffentlichen Frieden bereits
      ausführlich Stellung genommen; die Sache war
      entscheidungsreif, der Senat hatte sie beraten, und das
      Verfahren stand unmittelbar vor seinem Abschluss. Zudem soll
      die erstrebte Entscheidung über die höchstpersönliche
      Betroffenheit des Beschwerdeführers hinaus Klarheit über die
      Rechtslage für Meinungsäußerungen bei einer Vielzahl
      zukünftiger Versammlungen und öffentlichen Auftritten
      schaffen und hat folglich allgemeine verfassungsrechtliche
      Bedeutung. Da die Verfassungsbeschwerde auch die Funktion
      hat, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und
      fortzubilden (vgl. BVerfGE 98, 218 <242 f.>), kann
      das Bundesverfassungsgericht unter diesen Umständen auch nach
      Versterben des Beschwerdeführers über seine
      Verfassungsbeschwerde entscheiden. 

 

II. 


45  


Zulässig ist die Verfassungsbeschwerde
      zunächst hinsichtlich der auf Art. 8  Abs. 1
      in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG
      gestützten Rüge. Als Bestätigung eines Versammlungsverbots
      kann die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in
      seinem Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzen. Dies
      kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Versammlung in
      verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise wegen ihres
      Inhalts verboten wird. Denn der Inhalt einer
      Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht
      unterbunden werden darf, kann nicht zur Rechtfertigung von
      Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des
      Art. 8 GG beschränken. Dabei richtet sich die Reichweite
      der Versammlungsfreiheit insoweit nach dem Umfang des von
      Art. 5 Abs. 1 und 2 GG gewährten Schutzes
      (vgl. BVerfGE 90, 241 <246>; 111, 147
      <154 f.>). Auch hinsichtlich der Zulässigkeit der
      Rügen einer Verletzung von Art. 3 Abs. 3,
      Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG
      bestehen keine Bedenken. 


46  


Demgegenüber sind für eine Betroffenheit des
      Beschwerdeführers in Art. 4 Abs. 1 GG keine
      Anhaltspunkte ersichtlich. Unzulässig ist die
      Verfassungsbeschwerde auch bezüglich Art. 10 EMRK in
      Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Allerdings
      beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention in der
      Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
      die Auslegung der Grundrechte und sind bei der Auslegung des
      innerstaatlichen Rechts von den Fachgerichten zu
      berücksichtigen (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119
      <128>; 111, 307 <317>). Ein Verstoß gegen diese
      Berücksichtigungspflicht kann dabei grundsätzlich als Verstoß
      gegen das in seinem Schutzbereich berührte Grundrecht in
      Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gerügt werden (vgl.
      BVerfGE 111, 307 <316>). Es fehlt insoweit indes
      vorliegend an einem substantiierten Vorbringen. Der
      Beschwerdeführer hat sich in keiner Weise sachlich mit den
      Gewährleistungen der Konvention auseinander gesetzt. 

 

C. 


47  


Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
      § 130 Abs. 4 StGB ist mit dem Grundgesetz vereinbar
      (C I-V) und vom Bundesverwaltungsgericht in
      verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewendet
      worden (D). 

 

I. 


48  


§ 130 Abs. 4 StGB greift in den
      Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
      ein. 


49  


Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
      gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu
      äußern und zu verbreiten. Meinungen sind durch die subjektive
      Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt
      (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>). Für sie ist das Element
      der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend (vgl.
      BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241
      <247>). Insofern lassen sie sich auch nicht als wahr
      oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des
      Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung
      begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als
      wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt
      wird (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>). Die Bürger sind
      dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung
      zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das
      Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger
      die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und
      verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht (vgl.
      BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24.
      März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2070> und
      vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05 -, NJW 2009, S.
      908 <909>). 


50  


Geschützt sind damit von Art. 5
      Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende
      Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob
      und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung
      durchsetzbar sind. Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der
      freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die
      Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.
      Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung
      nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale
      Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein
      aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus.
      Den hierin begründeten Gefahren entgegenzutreten, weist die
      freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes primär
      bürgerschaftlichem Engagement im freien politischen Diskurs
      sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen
      gemäß Art. 7 GG zu. 


51  


Indem § 130 Abs. 4 StGB an die
      Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
      anknüpft und diese unter weiteren Voraussetzungen unter
      Strafe stellt, greift die Vorschrift in den Schutzbereich der
      Meinungsfreiheit ein. 

 

II. 


52  


Der Eingriff in die Meinungsfreiheit ist
      gerechtfertigt. § 130 Abs. 4 StGB ist eine
      gesetzliche Grundlage, die in verfassungsrechtlich zulässiger
      Weise einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen
      kann. Zwar handelt es sich bei der Strafnorm nicht um ein
      allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 
      Alternative 1 GG (1). Als Sonderrecht kann sie auch
      nicht auf das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5
      Abs. 2 Alternative 3 GG gestützt werden (2).
      In Bezug auf das nationalsozialistische Regime in den Jahren
      zwischen 1933 und 1945 erlaubt Art. 5 Abs. 1
      und 2 GG jedoch auch Eingriffe durch Vorschriften, die
      nicht den Anforderungen an ein allgemeines Gesetz
      entsprechen. Angesichts des einzigartigen Unrechts und des
      Schreckens, die diese Herrschaft unter deutscher
      Verantwortung über Europa und weite Teile der Welt gebracht
      hat, und der für die Identität der Bundesrepublik Deutschland
      prägenden Bedeutung dieser Vergangenheit, können Äußerungen,
      die dies gutheißen, Wirkungen entfalten, denen nicht allein
      in verallgemeinerbaren Kategorien Rechnung getragen werden
      kann (3). 


53  


1. § 130 Abs. 4 StGB ist kein
      allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2
      Alternative 1 GG. 


54  


a) Nach Art. 5 Abs. 2
      Alternative 1 GG findet die Meinungsfreiheit ihre
      Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter
      sind Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche
      verbieten, die sich nicht gegen die 
      Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz
      eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung
      zu schützenden Rechtsguts dienen (vgl. BVerfGE 7, 198
      <209 f.>; 28, 282 <292>; 71, 162
      <175 f.>; 93, 266 <291>; stRspr). Dieses
      Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit
      unabhängig davon geschützt sein, ob es durch
      Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann
      (vgl. BVerfGE 111, 147 <155>; 117, 244
      <260>). 


55  


aa) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob ein
      Gesetz ein allgemeines ist, ist zunächst die Frage, ob eine
      Norm an Meinungsinhalte anknüpft. Erfasst sie das fragliche
      Verhalten völlig unabhängig von dem Inhalt einer
      Meinungsäußerung, bestehen hinsichtlich der Allgemeinheit
      keine Zweifel. Knüpft sie demgegenüber an den Inhalt einer
      Meinungsäußerung an, kommt es darauf an, ob die Norm dem
      Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten
      Rechtsguts dient. Ist dies der Fall, ist in der Regel zu
      vermuten, dass das Gesetz nicht gegen eine bestimmte Meinung
      gerichtet ist, sondern meinungsneutral-allgemein auf die
      Abwehr von Rechtsgutverletzungen zielt. Insoweit nimmt nicht
      schon jede Anknüpfung an den Inhalt von Meinungen als solche
      einem Gesetz den Charakter als allgemeines Gesetz. Vielmehr
      sind auch inhaltsanknüpfende Normen dann als allgemeine
      Gesetze zu beurteilen, wenn sie erkennbar auf den Schutz
      bestimmter Rechtsgüter und nicht gegen eine bestimmte Meinung
      gerichtet sind. Hiervon ausgehend hat das
      Bundesverfassungsgericht in Bezug auf
      Art. 5 Abs. 2 GG etwa die Vorschriften zu den
      politischen Mäßigungspflichten der Soldaten und Beamten (vgl.
      BVerfGE 28, 282 <292>; 39, 334 <367>), zur
      Strafbarkeit der Verunglimpfung des Staates und seiner
      Symbole gemäß § 90a StGB (vgl. BVerfGE 47, 198
      <232>; 69, 257 <268 f.>), zur Beleidigung
      nach § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <291>;
      BVerfGK 8, 89 <96>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
      Ersten Senats vom 12. Mai 2009
      - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016
      <3017>) oder zur Vorgängerfassung des
      Volksverhetzungstatbestandes nach § 130 StGB a.F. (vgl.
      BVerfGE 90, 241 <251>; 111, 147 <155>) als
      allgemeine Gesetze beurteilt. 


56  


Allerdings kann aus dieser Rechtsprechung
      nicht im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass immer, wenn
      eine Norm ein anerkanntes Rechtsgut schützt, deren
      Allgemeinheit schon allein damit gesichert ist (vgl. Enders,
      JZ 2008, S. 1092 <1094>). Die Tatsache, dass ein
      meinungsbeschränkendes Gesetz ein anerkanntes Rechtsgut
      schützt, garantiert dessen Allgemeinheit nicht für jeden
      Fall, sondern ist lediglich Indiz für die Wahrung
      rechtsstaatlicher Distanz und die Einhaltung des Gebots der
      Meinungsneutralität. Das Bundesverfassungsgericht hat stets
      betont, dass das fragliche Rechtsgut schlechthin, ohne
      Rücksicht auf eine bestimmte Meinung geschützt sein muss
      (vgl. BVerfGE 111, 147 <155>; 117, 244 <260>) und
      damit Inhaltsanknüpfungen in Neutralität zu den verschiedenen
      politischen Strömungen und Weltanschauungen stehen müssen.
      Entsprechend war für die Qualifizierung des § 90a StGB
      als allgemeines Gesetz maßgeblich, dass diese Vorschrift die
      Herabwürdigung der Bundesrepublik Deutschland „unabhängig von
      einer politischen Überzeugung“ unter Strafe stellt (vgl.
      BVerfGE 47, 198 <232>). Nichts anderes gilt für die
      §§ 86, 86a StGB, die das Bundesverfassungsgericht
      gleichfalls als allgemeine Gesetze beurteilt hat (vgl.
      BVerfGE 111, 147 <155>). Zwar wird in § 86
      Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 86a
      Abs. 1 Nr. 1 StGB ausdrücklich an
      nationalsozialistische Organisationen angeknüpft. Im Kontext
      der Gesamtnorm des § 86 Abs. 1 StGB handelt es sich
      dabei aber dennoch nicht um Sonderrecht. Die Vorschrift
      richtet sich nicht gegen die Verbreitung
      nationalsozialistischen Gedankenguts, sondern erhebt einen
      sachlich beschränkten Strafanspruch gegen die
      organisationsbezogene Fortführung von förmlich verbotenen
      Vereinigungen und Parteien und erstreckt ihn auf alle hiervon
      betroffenen Organisationen gleichermaßen. 


57  


bb) An der Allgemeinheit eines Gesetzes fehlt
      es, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht
      hinreichend offen gefasst ist und sich von vornherein nur
      gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien
      richtet. 


58  


Gesetze zum Schutz von Rechtsgütern sind nur
      allgemein, wenn sie sich bei der gebotenen Gesamtsicht als
      konsequent und abstrakt vom Rechtsgut her gedacht erweisen
      und ohne Ansehung konkret vorfindlicher Auffassungen
      ausgestaltet sind. Hierzu gehört eine hinreichend allgemein
      gefasste Formulierung der Verletzungshandlung sowie der
      geschützten Rechtsgüter, die sicherstellt, dass die Norm im
      politischen Kräftefeld als gegenüber verschiedenen
      Gruppierungen offen erscheint und sich die pönalisierte oder
      verbotene Meinungsäußerung grundsätzlich aus verschiedenen
      politischen, religiösen oder weltanschaulichen
      Grundpositionen ergeben kann. Geboten ist eine Fassung der
      Norm, die in rechtsstaatlicher Distanz gegenüber konkreten
      Auseinandersetzungen im politischen oder sonstigen
      Meinungskampf strikte „Blindheit“ gegenüber denen
      gewährleistet, auf die sie letztlich angewendet werden soll.
      Sie darf allein an dem zu schützenden Rechtsgut ausgerichtet
      sein, nicht aber an einem Wert- oder Unwerturteil
      hinsichtlich der konkreten Haltungen oder Gesinnungen. 


59  


Die Allgemeinheit des Gesetzes verbürgt damit
      entsprechend dem Verbot der Benachteiligung oder Bevorzugung
      wegen politischer Anschauungen (Art. 3 Abs. 3 Satz
      1 Alternative 9 GG) für Eingriffe in die
      Meinungsfreiheit ein spezifisches und striktes
      Diskriminierungsverbot gegenüber bestimmten Meinungen.
      Gesetze, die an den Inhalt von Meinungsäußerungen anknüpfen
      und durch solche verursachte Rechtsgutverletzungen
      unterbinden oder sanktionieren, sind nur unter strenger
      Neutralität und Gleichbehandlung zulässig. 


60  


Die Frage, ob eine Norm nach diesen
      Grundsätzen noch als allgemeines Gesetz oder als Sonderrecht
      zu beurteilen ist, lässt sich dabei nicht schematisch
      beantworten. Es kommt vielmehr auf eine Gesamtsicht an.
      Abzustellen ist hierbei insbesondere darauf, in welchem Maße
      eine Norm sich auf abstrakt-inhaltsbezogene, für verschiedene
      Haltungen offene Kriterien beschränkt oder
      konkret-standpunktbezogene, insbesondere etwa
      ideologiebezogene Unterscheidungen zugrunde legt (vgl.
      ähnlich bereits BVerfGE 47, 198 <232>). Ein Indiz für
      Sonderrecht ist es etwa, wenn sich eine Norm als Antwort auf
      einen konkreten Konflikt des aktuellen öffentlichen
      Meinungskampfes versteht oder anknüpfend an inhaltliche
      Positionen einzelner vorfindlicher Gruppierungen so
      formuliert ist, dass sie im Wesentlichen nur gegenüber diesen
      zur Anwendung kommen kann. Entsprechendes gilt für Sanktionen
      eines Verhaltens, das typischerweise einer konkreten
      Geisteshaltung oder einer spezifischen weltanschaulichen,
      politischen oder historischen Deutung entspringt,
      beziehungsweise auch für Normen, die exklusiv auf die
      Zugehörigkeit zu Gruppen abstellen, die durch solche
      Haltungen definiert sind. Je mehr eine Norm so angelegt ist,
      dass sie absehbar allein Anhänger bestimmter politischer,
      religiöser oder weltanschaulicher Auffassungen trifft und
      somit auf den öffentlichen Meinungskampf einwirkt, desto mehr
      spricht dafür, dass die Schwelle zum Sonderrecht
      überschritten ist. Ein Anzeichen für Sonderrecht ist
      gleichfalls, wenn ein meinungsbeschränkendes Gesetz an
      bestimmte historische Deutungen von Geschehnissen anknüpft
      oder es sich auf den Schutz von Rechtsgütern eines nicht mehr
      offenen, sondern bereits feststehenden Personenkreises
      beschränkt. Insgesamt kommt es darauf an, ob die
      meinungsbeschränkende Norm eine prinzipielle inhaltliche
      Distanz zu den verschiedenen konkreten Positionen im
      politischen und weltanschaulichen Meinungskampf wahrt. 


61  


b) Hiervon ausgehend ist § 130
      Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz. Zwar dient die
      Vorschrift dem öffentlichen Frieden und damit dem Schutz
      eines Rechtsguts, das auch sonst in der Rechtsordnung
      vielfältig geschützt wird. Jedoch gestaltet § 130
      Abs. 4 StGB diesen Schutz nicht in inhaltsoffener,
      allgemeiner Art aus, sondern bezogen allein auf
      Meinungsäußerungen, die eine bestimmte Haltung zum
      Nationalsozialismus ausdrücken. Die Vorschrift dient nicht
      dem Schutz von Gewaltopfern allgemein und stellt bewusst
      nicht auf die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung
      der Gewalt- und Willkürherrschaft totalitärer Regime
      insgesamt ab, sondern ist auf Äußerungen allein in Bezug auf
      den Nationalsozialismus begrenzt. Auch der
      Entstehungsgeschichte nach wurde die Vorschrift maßgeblich
      als Antwort auf öffentliche Versammlungen und Aufmärsche von
      Rechtsradikalen verstanden, die in ihren Kundgebungen an die
      Zeit des Nationalsozialismus anknüpfen - nicht zuletzt
      gerichtet gerade auch gegen die jährlichen
      Gedenkveranstaltungen für Rudolf Heß (vgl. Sitzungsprotokoll
      des Deutschen Bundestags 15/158 vom 18. Februar 2005,
      S. 14818, 14820; Innenausschussprotokoll 15/56 vom
      7. März 2005, S. 11, 22 ff., 44, 45, 53 f.,
      57; BTDrucks 15/5051, S. 6; Sitzungsprotokoll des Deutschen
      Bundestags 15/164 vom 11. März 2005, S. 15352). Sie ist
      insoweit die Reaktion des Gesetzgebers auf konkrete
      politische, als besonders gefährlich beurteilte Auffassungen
      im öffentlichen Meinungskampf. Die Vorschrift pönalisiert
      Meinungsäußerungen, die sich allein aus einer bestimmten
      Deutung der Geschichte und einer entsprechenden Haltung
      ergeben können. Sie ist damit nicht blind gegenüber
      vorfindlichen Grundpositionen, sondern normiert bereits im
      Tatbestand konkret-standpunktbezogene Kriterien. Damit ist
      sie kein allgemeines Gesetz, sondern Sonderrecht zur Abwehr
      von speziell solchen Rechtsgutverletzungen, die sich aus der
      Äußerung einer bestimmten Meinung, nämlich der Gutheißung der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft,
      ergeben. 


62  


2. § 130 Abs. 4 StGB kann als
      Sonderrecht auch nicht auf das Recht der persönlichen Ehre
      nach Art. 5 Abs. 2 Alternative 3 GG
      - hier bezogen auf die Würde der Opfer - gestützt
      werden. Das Erfordernis der Allgemeinheit
      meinungsbeschränkender Gesetze gemäß Art. 5 Abs. 2
      Alternative 1 GG erstreckt sich auch auf Bestimmungen
      zum Ehrschutz. 


63  


Art. 5 Abs. 2 GG legt einen Begriff
      des allgemeinen Gesetzes zugrunde, nach dem die Schwelle zum
      Sonderrecht nicht schon erreicht wird, wenn ein
      meinungsbeschränkendes Gesetz überhaupt an Meinungsinhalte
      anknüpft, sondern erst dann, wenn bereits der Tatbestand
      konkret-standpunktbezogene Anknüpfungen enthält und die Norm
      damit nicht meinungsneutral ausgestaltet ist. Das in dem
      Erfordernis der Allgemeinheit liegende Verbot von Sonderrecht
      gewährleistet nach dieser Auffassung einen Schutz vor
      Diskriminierung in Anknüpfung an bestimmte Meinungen und
      politische Anschauungen, wie er ähnlich auch in Art. 3
      Abs. 3 Satz 1 Alternative 9 GG („politische
      Anschauungen“) enthalten ist, und sichert damit
      rechtsstaatliche Distanz zum Schutz der Meinungsfreiheit. In
      diesem Verständnis muss das Sonderrechtsverbot dann aber
      allgemein gelten und sich auf alle meinungsbeschränkenden
      Gesetze erstrecken. Gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der
      Jugend oder der persönlichen Ehre unterliegen ihm ebenso wie
      solche zum Schutz anderer Rechtsgüter. Dementsprechend hat
      das Bundesverfassungsgericht auch bisher schon etwa den
      Straftatbestand der Beleidigung als allgemeines Gesetz
      angesehen (vgl. BVerfGE 69, 257 <268 f.>; 93, 266
      <291>; vgl. auch BVerfGK 1, 289 <291>). Dieses
      Verständnis findet auch in der Geschichte der
      Meinungsfreiheit eine Stütze. Bereits nach Art. 118 der
      Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Reichsverfassung)
      fand die Meinungsfreiheit ihre Schranken in den allgemeinen
      Gesetzen. Eine zusätzliche, über Einzelbestimmungen zum
      Zensurverbot hinausgehende Ausnahme zum Jugend- und Ehrschutz
      enthielt die Vorschrift nicht. Vielmehr wurden solche
      Bestimmungen als von den allgemeinen Gesetzen grundsätzlich
      mitumfasst angesehen, und zwar unabhängig von den
      verschiedenen Positionen um die inhaltliche Auslegung des
      Allgemeinheitskriteriums zwischen der Sonderrechtslehre (vgl.
      Häntzschel, AöR, Bd. 10, 1926, S. 228 <232>;
      Häntzschel, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts,
      Bd. 29, 1932, S. 651 <657 ff.>;
      Rothenbücher, in: VVDStRL Heft 4 1928,
      S. 6 <20>) und der Lehre von Smend (vgl.
      VVDStRL Heft 4 1928, S. 44 <52>). Es ist nicht
      ersichtlich, dass der Grundgesetzgeber mit Art. 5
      Abs. 1 und 2 GG diesbezüglich eine andere
      Grundentscheidung treffen wollte. Die ausdrückliche Aufnahme
      des Jugend- und Ehrschutzes in Art. 5 Abs. 2 GG
      sollte lediglich sicherstellen, dass solche Vorschriften
      weiterhin zulässig sind. Sie sollte jedoch nicht die an alle
      Gesetze zu stellenden Anforderungen an eine rechtsstaatliche
      Distanz durch Meinungsneutralität zurücknehmen. 


64  


3. § 130 Abs. 4 StGB ist auch als
      nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1
      und 2 GG vereinbar. Angesichts des sich allgemeinen
      Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die
      nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile
      der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu
      verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist
      Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die
      der propagandistischen Gutheißung des nationalsozialistischen
      Regimes in den Jahren zwischen 1933 und 1945 Grenzen setzen,
      eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für
      meinungsbezogene Gesetze immanent. 


65  


a) Von dem Erfordernis der Allgemeinheit
      meinungsbeschränkender Gesetze gemäß Art. 5 Abs. 2
      GG ist eine Ausnahme anzuerkennen für Vorschriften, die auf
      die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
      zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen. Das
      menschenverachtende Regime dieser Zeit, das über Europa und
      die Welt in unermesslichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung
      gebracht hat, hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der
      Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich
      identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist und allein
      auf der Grundlage allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht
      eingefangen werden kann. Das bewusste Absetzen von der
      Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus war historisch
      zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung
      des Grundgesetzes beteiligten Kräfte (vgl.
      Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der
      Westlichen Besatzungszonen, Bericht über den
      Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August
      1948, S. 18, 20, 22, 56), insbesondere auch des
      Parlamentarischen Rates (vgl. Parlamentarischer Rat,
      Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die
      Bundesrepublik Deutschland, Anlage zum stenographischen
      Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates am 6. Mai
      1949, S. 5, 6, 9) und bildet ein inneres Gerüst der
      grundgesetzlichen Ordnung (vgl. nur Art. 1, Art. 20
      und Art. 79 Abs. 3 GG). Das Grundgesetz kann
      weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des
      nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden und ist von
      seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet,
      aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine
      Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal
      auszuschließen. Die endgültige Überwindung der
      nationalsozialistischen Strukturen und die Verhinderung des
      Wiedererstarkens eines totalitär nationalistischen
      Deutschlands war schon für die Wiedererrichtung deutscher
      Staatlichkeit durch die Alliierten ein maßgeblicher
      Beweggrund und bildete - wie etwa die Atlantik-Charta
      vom 14. August 1941, das Potsdamer Abkommen vom
      2. August 1945 und das Kontrollratsgesetz Nr. 2 zur
      Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen vom
      10. Oktober 1945 zeigen - eine wesentliche
      gedankliche Grundlage für die Frankfurter Dokumente vom
      1. Juli 1948, in denen die Militärgouverneure die
      Ministerpräsidenten aus ihren Besatzungszonen mit der
      Schaffung einer neuen Verfassung beauftragten. Auch für die
      Schaffung der Europäischen Gemeinschaften sowie zahlreiche
      internationale Vertragswerke wie insbesondere auch die
      Europäische Menschenrechtskonvention ging von den Erfahrungen
      der Zerstörung aller zivilisatorischen Errungenschaften durch
      den Nationalsozialismus ein entscheidender Impuls aus. Sie
      prägen die gesamte Nachkriegsordnung und die Einbindung der
      Bundesrepublik Deutschland in die Völkergemeinschaft bis
      heute nachhaltig. 


66  


Vor diesem Hintergrund entfaltet die
      propagandistische Gutheißung der historischen
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft mit all
      dem schrecklichen tatsächlich Geschehenen, das sie zu
      verantworten hat, Wirkungen, die über die allgemeinen
      Spannungslagen des öffentlichen Meinungskampfes weit
      hinausgehen und allein auf der Grundlage der allgemeinen
      Regeln zu den Grenzen der Meinungsfreiheit nicht erfasst
      werden können. Die Befürwortung dieser Herrschaft ist in
      Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens
      nach innen mit friedensbedrohendem Potential. Insofern ist
      sie mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar und
      kann nicht zuletzt auch im Ausland tiefgreifende Beunruhigung
      auslösen. Dieser geschichtlich begründeten
      Sonderkonstellation durch besondere Vorschriften Rechnung zu
      tragen, will Art. 5 Abs. 2 GG nicht ausschließen.
      Das Erfordernis der Allgemeinheit meinungsbeschränkender
      Gesetze, mit dem Art. 5 Abs. 2 GG den Gesetzgeber
      in Anknüpfung an lange Traditionslinien darauf verpflichtet,
      Rechtsgüterschutz vor Meinungsäußerungen unabhängig von
      bestimmten Überzeugungen, Haltungen und Ideologien zu
      gewährleisten, kann für diese die geschichtsgeprägte
      Identität der Bundesrepublik Deutschland betreffende, auf
      andere Konflikte nicht übertragbare einzigartige
      Konstellation keine Geltung beanspruchen. § 130
      Abs. 4 StGB ist dementsprechend nicht deshalb
      verfassungswidrig, weil er eine Sonderbestimmung ist, die
      allein die Bewertung der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft zu ihrem Gegenstand hat. 


67  


b) Die Offenheit des Art. 5 Abs. 1
      und 2 GG für derartige Sonderbestimmungen, die sich auf
      Äußerungen zum Nationalsozialismus in den Jahren zwischen
      1933 und 1945 beziehen, nimmt den materiellen Gehalt der
      Meinungsfreiheit nicht zurück. Insbesondere kennt das
      Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches
      Grundprinzip (vgl. so aber in der Sache: Battis/Grigoleit,
      NVwZ 2001, S. 121 <123 ff.>; OVG Münster,
      Beschluss vom 23. März 2001 - 5 B 395/01 -,
      NJW 2001, S. 2111), das ein Verbot der Verbreitung
      rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen
      Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines
      Inhalts erlaubte. Ein solches Grundprinzip ergibt sich
      insbesondere weder aus Art. 79 Abs. 3 GG noch aus
      Art. 139 GG, in dem aufgrund bewusster Entscheidung
      allein die dort genannten Vorschriften von der Geltung der
      Verfassung ausgenommen werden. Das Grundgesetz gewährt
      Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien
      öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch
      den Feinden der Freiheit. Der Parlamentarische Rat bekannte
      sich hierzu auch gegenüber dem soeben erst überwundenen
      Nationalsozialismus. In den Art. 9 Abs. 2,
      Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG legte er fest,
      dass nicht schon die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen
      als solche die Grenze der freien politischen
      Auseinandersetzung bildet, sondern erst eine aktiv
      kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlichen
      demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 5, 85 <141>).
      Entsprechend gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2
      GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von
      der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen
      Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 90, 241
      <247>). Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt
      nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern
      ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen
      die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen
      und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in
      Gefährdungslagen umschlagen. 


68  


Auch die nach Art. 5 Abs. 1
      und 2 GG anzuerkennende Ausnahme von dem
      Allgemeinheitserfordernis meinungsbeschränkender Gesetze
      aufgrund der Einzigartigkeit der Verbrechen der historischen
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft und der
      daraus folgenden Verantwortung für die Bundesrepublik
      Deutschland öffnet hierzu keine Türen, sondern belässt die
      Verantwortung für die notwendige Zurückdrängung solch
      gefährlicher Ideen der Kritik in freier Diskussion. Sie
      erlaubt dem Gesetzgeber lediglich, für Meinungsäußerungen,
      die eine positive Bewertung des nationalsozialistischen
      Regimes in ihrer geschichtlichen Realität zum Gegenstand
      haben, gesonderte Bestimmungen zu erlassen, die an die
      spezifischen Wirkungen gerade solcher Äußerungen anknüpfen
      und ihnen Rechnung tragen. Auch solche Bestimmungen müssen
      jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen und
      hierbei strikt an einem veräußerlichten Rechtsgüterschutz,
      nicht aber einer inhaltlichen Bewertung der betroffenen
      Meinung orientiert sein. 

 

III. 


69  


§ 130 Abs. 4 StGB genügt den
      Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die
      Vorschrift verfolgt mit dem Schutz des öffentlichen
      Friedens 
      einen legitimen Zweck, zu dessen Erreichung sie geeignet,
      erforderlich und angemessen ist. 


70  


1. § 130 Abs. 4 StGB dient dem
      Schutz des öffentlichen Friedens. Hierin liegt ein legitimer
      Schutzzweck, der bei sachgerechtem, im Licht des Art. 5
      Abs. 1 GG eingegrenztem Verständnis den Eingriff in die
      Meinungsfreiheit rechtfertigen kann. 


71  


a) Voraussetzung für einen Eingriff in
      Art. 5 Abs. 1 GG und maßgeblich für dessen
      Verhältnismäßigkeit ist die Bestimmung eines legitimen Zwecks
      (vgl. BVerfGE 80, 137 <159>; 104, 337 <347>; 107,
      299 <316>). Legitim ist grundsätzlich jedes öffentliche
      Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist.
      Welche Zwecke legitim sind, hängt dabei auch vom jeweiligen
      Grundrecht ab, in das eingegriffen wird. Nicht legitim ist
      insbesondere eine Aufhebung des in dem jeweiligen Grundrecht
      enthaltenen Freiheitsprinzips als solchen. Für die
      Meinungsfreiheit findet dies in der Wechselwirkungslehre
      seinen spezifischen Ausdruck: Zwischen Grundrechtsschutz und
      Grundrechtsschranken findet eine Wechselwirkung in dem Sinne
      statt, dass die allgemeinen Gesetze zwar Schranken setzen,
      diese aber ihrerseits wieder im Licht dieser
      Grundrechtsverbürgungen bestimmt werden müssen (vgl. BVerfGE
      7, 198 <208 f.>; 94, 1 <8>; 107, 299
      <331>). Die Schranken der Meinungsfreiheit dürfen deren
      substantiellen Gehalt nicht in Frage stellen. Dies gilt für
      die Auslegung ebenso wie für das beschränkende Gesetz und die
      mit ihm verfolgten Zwecke selbst (vgl. BVerfGE 77, 65
      <75>). 


72  


Für Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG
      folgt hieraus, dass ihre Zielsetzung nicht darauf gerichtet
      sein darf, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden
      Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Die
      Absicht, Äußerungen mit schädlichem oder in ihrer
      gedanklichen Konsequenz gefährlichem Inhalt zu behindern,
      hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist
      illegitim (vgl. schon Häntzschel, in: Handbuch des Deutschen
      Staatsrechts, Bd. 29, 1932, S. 651 ff.;
      Rothenbücher, in: VVDStRL Heft 4 1928,
      S. 6 ff.). Entsprechendes gilt - unbeschadet
      Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21
      Abs. 2 GG - für das Anliegen, die Verbreitung
      verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern. Allein die
      Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als
      solche ist kein Grund, diese zu beschränken (vgl. BVerfGE 90,
      241 <247>). Art. 5 Abs. 1 GG erlaubt nicht,
      die Meinungsfreiheit unter einen generellen
      Abwägungsvorbehalt zu stellen. 


73  


Legitim ist es demgegenüber,
      Rechtsgutverletzungen zu unterbinden. Soweit der Gesetzgeber
      darauf zielt, Meinungsäußerungen insoweit einzuschränken, als
      mit ihnen die Schwelle zur individualisierbaren, konkret
      fassbaren Gefahr einer Rechtsverletzung überschritten wird,
      verfolgt er einen legitimen Zweck. Der Gesetzgeber kann
      insoweit insbesondere an Meinungsäußerungen anknüpfen, die
      über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf
      Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum
      Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder der
      Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen
      unmittelbar auslösen können. 


74  


Für den Schutz von materiellen Rechtsgütern
      ergibt sich hieraus eine Art Eingriffsschwelle für die
      Gefahrenabwehr: Gefahren, die lediglich von den Meinungen als
      solchen ausgehen, sind zu abstrakt, als dass sie dazu
      berechtigten, diese staatlicherseits zu untersagen. Solange
      eine Gefahr nur in der Abstraktion des Für-richtig-Haltens
      und dem Austausch hierüber besteht, ist die Gefahrenabwehr
      der freien geistigen Auseinandersetzung der verschiedenen
      gesellschaftlichen Strömungen untereinander anvertraut.
      Meinungsbeschränkende Maßnahmen in Bezug auf den Inhalt von
      Äußerungen können hingegen dann zulässig sein, wenn die
      Meinungen Rechtsgüter Einzelner oder Schutzgüter der
      Allgemeinheit erkennbar gefährden. Die Abwehr von Gefahren
      für Rechtsgüter ist dann ein legitimes Ziel des Gesetzgebers.
      Der Staat ist damit rechtsstaatlich begrenzt auf Eingriffe
      zum Schutz von Rechtsgütern in der Sphäre der Äußerlichkeit.
      Demgegenüber steht ihm ein Zugriff auf das subjektive Innere
      der individuellen Überzeugung, der Gesinnung und dabei nach
      Art. 5 Abs. 1 GG auch das Recht, diese mitzuteilen
      und zu verbreiten, nicht zu. 


75  


Rein geistige Wirkungen und rechtsverletzende
      Wirkungen von Meinungsäußerungen stehen dabei nicht in
      strenger Alternativität zueinander. Sie sind nicht rein
      formal abgrenzbar und können sich überschneiden. Dem
      Gesetzgeber kommt bei der Gestaltung von
      meinungsbeschränkenden Gesetzen insoweit ein Spielraum zu. Er
      muss sich jedoch von vornherein auf die Verfolgung von
      Schutzzwecken beschränken, die an dieser Grenze orientiert
      sind und nicht schon das Prinzip der freien geistigen
      Auseinandersetzung selbst zurücknehmen. Diesen Grenzziehungen
      hat auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu folgen. Je
      konkreter und unmittelbarer ein Rechtsgut durch eine
      Meinungsäußerung gefährdet wird, desto geringer sind die
      Anforderungen an einen Eingriff; je vermittelter und
      entfernter die drohenden Rechtsgutverletzungen bleiben, desto
      höher sind die zu stellenden Anforderungen. Entsprechend sind
      Eingriffe in die Meinungsfreiheit umso eher hinzunehmen, als
      sie sich auf die Formen und Umstände einer Meinungsäußerung
      in der Außenwelt beschränken. Je mehr sie hingegen im
      Ergebnis eine inhaltliche Unterdrückung der Meinung selbst
      zur Folge haben, desto höher sind die Anforderungen an das
      konkrete Drohen einer Rechtsgutgefährdung. 


76  


b) Der Gesetzgeber hat § 130 Abs. 4
      StGB auf den Schutz des öffentlichen Friedens gestützt (vgl.
      BTDrucks 15/4832, S. 3; Innenausschussdrucksache
      15(4)191, S. 5; BTDrucks 15/5051, S. 5). Dies ist
      verfassungsrechtlich tragfähig. Allerdings ist nach
      vorstehenden Maßstäben dem Begriff des öffentlichen Friedens
      ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. 


77  


aa) Nicht tragfähig für die Rechtfertigung von
      Eingriffen in die Meinungsfreiheit ist ein Verständnis des
      öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver
      Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit
      provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von
      als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen
      Anschauungen zielt. Eine Beunruhigung, die die geistige
      Auseinandersetzung im Meinungskampf mit sich bringt und
      allein aus dem Inhalt der Ideen und deren gedanklichen
      Konsequenzen folgt, ist notwendige Kehrseite der
      Meinungsfreiheit und kann für deren Einschränkung kein
      legitimer Zweck sein. Die mögliche Konfrontation mit
      beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen
      Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine
      prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind,
      gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer
      Beeinträchtigung des „allgemeinen Friedensgefühls“ oder der
      „Vergiftung des geistigen Klimas“ sind ebenso wenig ein
      Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer
      Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien
      oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.
      Auch das Ziel, die Menschenrechte im Rechtsbewusstsein der
      Bevölkerung zu festigen, erlaubt es nicht, zuwiderlaufende
      Ansichten zu unterdrücken. Die Verfassung setzt vielmehr
      darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik
      gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem
      Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die
      Gefolgschaft verweigert wird. Demgegenüber setzte die
      Anerkennung des öffentlichen Friedens als Zumutbarkeitsgrenze
      gegenüber unerträglichen Ideen allein wegen der Meinung als
      solcher das in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgte
      Freiheitsprinzip selbst außer Kraft. 


78  


bb) Ein legitimer Zweck, zu dessen Wahrung der
      Gesetzgeber öffentlich wirkende Meinungsäußerungen begrenzen
      darf, ist der öffentliche Friede jedoch in einem Verständnis
      als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der
      Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf
      rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, das heißt
      den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren. Die
      Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf
      die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle
      oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen
      Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen
      oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Auch hier knüpft der
      Eingriff in die Meinungsfreiheit möglicherweise zwar an den
      Inhalt der Meinungsäußerung an. Jedoch richtet sich der
      Schutz des öffentlichen Friedens auf die Aufrechterhaltung
      des friedlichen Miteinanders. Es geht um einen vorgelagerten
      Rechtsgüterschutz, der an sich abzeichnende Gefahren
      anknüpft, die sich in der Wirklichkeit konkretisieren. In
      diesem Sinne ist der öffentliche Friede ein Schutzgut, das
      verschiedenen Normen des Strafrechts seit jeher zugrunde
      liegt wie etwa den Verboten der öffentlichen Aufforderung zu
      Straftaten (§ 111 StGB), der Androhung von Straftaten
      (§ 126 StGB), der Belohnung und Billigung von Straftaten
      (§ 140 StGB) oder auch den anderen Straftatbeständen des
      Volksverhetzungsparagraphen (§ 130 Abs. 1
      bis 3 StGB). 


79  


c) Der Gesetzgeber hat § 130 Abs. 4
      StGB ausweislich der Gesetzesbegründung allein und tragfähig
      auf den Schutz des öffentlichen Friedens gestützt. Die Frage,
      ob beziehungsweise in welchem Verständnis die Norm auch auf
      den Schutz der Würde der Opfer der nationalsozialistischen
      Gewalt- und Willkürherrschaft gestützt werden könnte, kann
      damit dahinstehen. 


80  


2. Die Ausgestaltung des § 130
      Abs. 4 StGB ist geeignet, den öffentlichen Frieden in
      seinem Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen
      Auseinandersetzung zu schützen. 


81  


§ 130 Abs. 4 StGB definiert als
      unter Strafe gestellte Tathandlungen die Billigung,
      Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen
      Gewalt- und Willkürherrschaft. Bestraft wird damit das
      Gutheißen nicht von Ideen, sondern von realen Verbrechen, die
      in der Geschichte einmalig und an Menschenverachtung nicht zu
      überbieten sind. Das Gesetz richtet sich gegen das Wachrufen
      und Billigen der Untaten eines Regimes, das zur Vernichtung
      ganzer Bevölkerungsgruppen schritt und sich als Schreckbild
      unermesslicher Brutalität in das Bewusstsein der Gegenwart
      eingebrannt hat. Dass ein Gutheißen der Gewalt- und
      Willkürherrschaft dieser Zeit der Bevölkerung heute
      regelmäßig als Aggression und als Angriff gegenüber
      denjenigen erscheint, die sich in ihrem Wert und ihren
      Rechten erneut in Frage gestellt sehen, und angesichts der
      geschichtlichen Realität mehr bewirkt als eine bloße
      Konfrontation mit einer demokratie- und freiheitsfeindlichen
      Ideologie, ist eine verfassungsrechtlich tragfähige
      Einschätzung des Gesetzgebers. Denn es handelt sich dabei um
      mehr als um eine bloß anstößige geistige Relativierung des
      Gewaltverbots. Vielmehr löst die Kundgabe einer positiven
      Bewertung dieses Unrechtsregimes regelmäßig einerseits
      Widerstand dagegen aus oder erzeugt Einschüchterung und hat
      anderseits enthemmende Wirkung bei der angesprochenen
      Anhängerschaft solcher Auffassungen. 


82  


Bezogen auf die historische
      nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft weisen
      die Tatbestandsmerkmale der Billigung, Verherrlichung und
      Rechtfertigung auch eine hinreichende Intensität auf, um
      typischerweise die Friedlichkeit der politischen
      Auseinandersetzung zu gefährden. Die Vorschrift stellt nicht
      schon eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als
      Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser
      Zeit unter Strafe, sondern die nach außen manifestierte
      Gutheißung der realen historischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft, wie sie unter dem Nationalsozialismus ins
      Werk gesetzt wurde. Ungeachtet des vom Gesetzgeber zusätzlich
      aufgenommenen Merkmals der Verletzung der Würde der Opfer
      liegt bereits hierin eine geeignete Anknüpfung zum Schutz des
      öffentlichen Friedens im Sinne der Friedlichkeit. Die
      Vorschrift ist von der gesetzgeberischen Wertung insoweit
      ähnlich angelegt wie bisher schon § 140 StGB, der die
      Belohnung und Billigung von bestimmten, tatsächlich
      begangenen und besonders schweren Straftaten unter Strafe
      stellt. 


83  


Ungeeignet ist die Ausgestaltung des
      § 130 Abs. 4 StGB auch nicht insoweit, als die
      Bestrafung nicht nur auf Äußerungen in der Öffentlichkeit,
      sondern auch auf solche in geschlossenen Versammlungen
      erstreckt wird. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass
      das Gutheißen dieser Gewalt- und Willkürherrschaft in aller
      Regel auch aus geschlossenen Versammlungen heraus nach außen
      Reaktionen hervorruft. Soweit dieses im Einzelfall nicht
      zutrifft, kann dies über das weitere Tatbestandsmerkmal der
      Störung des öffentlichen Friedens korrigierend aufgefangen
      werden (siehe unten C V 2 b). 


84  


3. Für den vom Gesetzgeber erstrebten Schutz
      des öffentlichen Friedens ist § 130 Abs. 4 StGB
      auch erforderlich. Ein milderes Mittel, das in Bezug auf die
      hier in Frage stehenden Rechtsverletzungen den Schutz des
      öffentlichen Friedens in gleich wirksamer Weise gewährleisten
      kann, ist nicht ersichtlich. 


85  


§ 130 Abs. 4 StGB ist in seiner
      Ausgestaltung auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die
      Vorschrift begründet bei einer Auslegung, die Art. 5
      Abs. 1 GG Rechnung trägt, einen angemessenen Ausgleich
      zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz des öffentlichen
      Friedens. Sie ist insbesondere nicht in dem Sinne übermäßig
      weit gefasst, dass sie inhaltlich schon allein die
      Verbreitung von rechtsradikalen und auch an die Ideologie des
      Nationalsozialismus anknüpfenden Ansichten unter Strafe
      stellte. Weder verbietet sie generell eine zustimmende
      Bewertung von Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes,
      noch eine positive Anknüpfung an Tage, Orte oder Formen,
      denen ein an diese Zeit erinnernder Sinngehalt mit
      gewichtiger Symbolkraft zukommt. Die Strafandrohung ist auf
      die Gutheißung allein der historisch real gewordenen Gewalt-
      und Willkürherrschaft unter dem Nationalsozialismus begrenzt,
      für die Deutschland eine fortwirkende, besondere,
      geschichtlich begründete Verantwortung trägt. Ergänzend
      verlangt der Straftatbestand, dass diese untersagte
      Bekräftigung auch tatsächlich - wie regelmäßig zu
      erwarten - in einer die Würde der Opfer verletzenden
      Weise erfolgt und zu einer Störung des öffentlichen Friedens
      führt. Untypische Situationen, in denen im Einzelfall die in
      dem Verbot liegende Einschränkung der Meinungsfreiheit
      unangemessen sein kann, können durch dieses
      Tatbestandsmerkmal aufgefangen werden (siehe unten
      C V 2 b). Insgesamt ist § 130 Abs. 4
      StGB in einer Weise ausgestaltet, die auch verhältnismäßig im
      engeren Sinne ist. 

 

IV. 


86  


§ 130 Abs. 4 StGB verstößt auch
      nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (Verbot
      der Benachteiligung wegen politischer Anschauungen), der vor
      Eingriffen schützt, die schon an das bloße „Haben“ einer
      politischen Anschauung anknüpfen. Hingegen richtet sich die
      Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen, die an die Äußerung und
      Betätigung solcher Anschauungen anknüpfen, grundsätzlich nach
      den jeweiligen Freiheitsgrundrechten (vgl. BVerfGE 39, 334
      <368>). Dies gilt jedenfalls dann, wenn den
      entsprechenden Freiheitsgrundrechten, wie vorliegend
      Art. 5 Abs. 1 und 2 GG, spezielle
      Gleichheitsgewährleistungen innewohnen. Eine Verletzung von
      Art. 3 Abs. 3 GG kommt damit nicht in Betracht.
      Erst recht können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG keine
      weitergehenden Anforderungen als aus Art. 5 Abs. 1
      und 2 GG ergeben. 

 

V. 


87  


§ 130 Abs. 4 StGB steht auch mit
      Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang. 


88  


1. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet
      den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so
      konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich
      der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch
      Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem
      doppelten Zweck. Einerseits geht es um den rechtsstaatlichen
      Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können,
      welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.
      Anderseits soll sichergestellt werden, dass nur der
      Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit
      enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen
      Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der
      rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen
      einer Bestrafung selbst zu entscheiden (vgl. BVerfGE 71, 108
      <114>). 


89  


Das schließt nicht eine Verwendung von
      Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den
      Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber
      vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens
      Rechnung zu tragen. Wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit
      von Strafnormen ist es ferner unvermeidlich, dass in
      Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon
      oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht.
      Dann genügt, wenn sich deren Sinn im Regelfall mit Hilfe der
      üblichen Auslegungsmethoden ermitteln lässt und in
      Grenzfällen dem Adressaten zumindest das Risiko der
      Bestrafung erkennbar wird (vgl. BVerfGE 41, 314 <320>;
      71, 108 <114 f.>; 73, 206 <235>; 85, 69
      <73>; 87, 209 <223 f.>; 92, 1
      <12>). 


90  


2. Diesen Anforderungen wird die Ausgestaltung
      des § 130 Abs. 4 StGB gerecht. 


91  


a) Keinen Zweifeln an der hinreichenden
      Bestimmtheit gemäß Art. 103 Abs. 2 GG unterliegen
      die Begriffe der Billigung, Verherrlichung oder
      Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft sowie die tatbestandlichen Modalitäten
      „öffentlich oder in einer Versammlung“ und „in einer die
      Würde der Opfer verletzenden Weise“. Jedes dieser
      Tatbestandsmerkmale ist schon von seiner sprachlichen Fassung
      her hinreichend deutlich und begrenzt, um im Sinne der
      Anforderungen der Rechtsprechung auslegungsfähig zu sein. Die
      Frage, wie eng oder weit diese Begriffe im Kontext der Norm
      auszulegen sind, ist eine Frage ihrer Anwendung. Die Norm
      selbst ist hinsichtlich dieser Merkmale nicht in einer Weise
      offen, dass sie die Strafbarkeit insoweit ohne vorgegebenes
      Maß in die Hände der Strafjustiz legen würde. 


92  


b) Auch das Tatbestandsmerkmal der Störung des
      öffentlichen Friedens ist im Kontext des § 130
      Abs. 4 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar. 


93  


aa) Allerdings ist ein Rückgriff des
      Strafgesetzgebers auf den „öffentlichen Frieden“ als
      Tatbestandsmerkmal nicht aus sich heraus verfassungsrechtlich
      unbedenklich. Die Tatsache, dass der öffentliche Friede bei
      hinreichend begrenztem Verständnis ein geeignetes Schutzgut
      der Strafgesetzgebung sein kann, besagt noch nicht, dass auf
      diesen Begriff ohne weiteres auch als Tatbestandsmerkmal
      zurückgegriffen werden darf. Verstanden als
      Tatbestandsmerkmal, das eigenständig strafbegründend wirkt,
      wirft der Begriff des öffentlichen Friedens vielmehr Zweifel
      hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot
      auf. Er ist vielfältig offen für unterschiedliche Deutungen,
      die auf ein schwer zu fassendes subjektives Kollektivgefühl
      der Unsicherheit abstellen und dabei anfällig sind für ein
      Verständnis, das der grundlegenden Bedeutung der
      Freiheitsrechte in der grundgesetzlichen Ordnung nicht
      hinreichend Rechnung trägt. Insofern lässt sich heute auch
      nicht mehr bruchlos an entsprechende Regelungstraditionen vor
      der Zeit des Grundgesetzes anknüpfen. Entsprechend steht die
      Literatur dem strafrechtlichen Rückgriff auf den öffentlichen
      Frieden weithin kritisch gegenüber (vgl. Fischer,
      Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, 1986,
      S. 630 ff.; Enders/Lange, JZ 2006, S. 105
      <108>; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005,
      S. 90 ff., 282 ff.; Junge, Das Schutzgut des
      § 130 StGB, 2000, S. 26 ff.). Als allein
      strafbegründendes Tatbestandsmerkmal oder als ergänzendes
      Tatbestandsmerkmal in Straftatbeständen, die nicht schon
      durch andere Tatbestandsmerkmale grundsätzlich tragfähige und
      hinreichend begrenzte Konturen erhalten, kann dessen
      Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG Bedenken
      ausgesetzt sein. 


94  


Demgegenüber bestehen gegen das
      Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Friedens dann keine
      Bedenken, wenn die vom Gesetzgeber als strafwürdig beurteilte
      Störung des öffentlichen Friedens durch andere, ihrerseits
      hinreichend bestimmte Tatbestandsmerkmale konkret umschrieben
      wird, die bereits für sich die Strafandrohung jedenfalls
      grundsätzlich zu tragen vermögen. Wird in einem solchen Fall
      der öffentliche Friede als zusätzliches Tatbestandsmerkmal
      herangezogen, lässt sich dessen Inhalt aus einem solchen
      Kontext inhaltlich näher bestimmen. Der öffentliche Friede
      ist dann als ein Tatbestandsmerkmal zu verstehen, dessen
      Inhalt sich aus dem jeweiligen Normenzusammenhang je eigens
      bestimmt. Es hat dabei nur noch die Funktion eines
      Korrektivs. Grundsätzlich begründet bereits die
      Verwirklichung der anderen Tatbestandsmerkmale die
      Strafbarkeit, bei deren Erfüllung auch die Störung des
      öffentlichen Friedens (beziehungsweise die Eignung hierzu)
      vermutet werden kann. Eigenständige Bedeutung hat es nur in
      atypischen Situationen, wenn diese Vermutung aufgrund
      besonderer Umstände nicht trägt (siehe unten
      D I 1 b). Bei dem öffentlichen Frieden handelt
      es sich insoweit nicht um ein strafbegründendes
      Tatbestandsmerkmal, sondern um eine „Wertungsformel zur
      Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle“ (vgl.
      Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 130 Rn. 14b).
      Es ist damit ein Korrektiv, das es insbesondere erlaubt, auch
      grundrechtlichen Wertungen im Einzelfall Geltung zu
      verschaffen. 


95  


bb) Nach diesen Maßgaben bestehen gegen die
      Bestimmtheit des § 130 Abs. 4 StGB keine
      verfassungsrechtlichen Bedenken. Die öffentlich oder in einer
      Versammlung zum Ausdruck gebrachte Billigung, Verherrlichung
      oder Rechtfertigung der historischen nationalsozialistischen
      Gewalt- und Willkürherrschaft durfte der Gesetzgeber schon
      für sich jedenfalls grundsätzlich als eine strafwürdige und
      hinreichend bestimmt erfasste Störung des öffentlichen
      Friedens ansehen. Aus diesem Kontext heraus wird die Störung
      des öffentlichen Friedens auch als Tatbestandsmerkmal
      bestimmbar: Sie besteht in einem Absenken der Schwelle der
      Gewaltbereitschaft und in der bedrohenden Wirkung, die
      solchen Äußerungen vor dem speziellen Hintergrund der
      deutschen Geschichte in der Regel zukommt. 
      Eine solche Wirkung kann bei Verwirklichung der weiteren
      Tatbestandsmerkmale grundsätzlich vermutet werden. Das
      Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Friedens gemäß § 130
      Abs. 4 StGB erlaubt es dabei jedoch, atypischen
      Situationen im Sinne der Meinungsfreiheit Rechnung zu
      tragen. 

 

D. 


96  


Die angegriffene Entscheidung ist auch auf
      Rechtsanwendungsebene verfassungsrechtlich nicht zu
      beanstanden. Die Auslegung von § 15 Abs. 1 VersG in
      Verbindung mit § 130 Abs. 4 StGB durch das
      Bundesverwaltungsgericht ist mit Art. 8 Abs. 1 in
      Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar. 

 

I. 


97  


1. a) Die Auslegung und Anwendung der
      Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte.
      Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen dabei
      jedoch so interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt
      dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer
      grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen
      Bereichen, namentlich im öffentlichen Leben, führen muss, auf
      jeden Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in
      dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach
      dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der
      Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im
      freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer
      das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder
      eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198
      <208 f.>; stRspr). 


98  


Die verfassungsrechtlichen Maßgaben zu der
      Vereinbarkeit des § 130 Abs. 4 StGB mit Art. 5
      Abs. 1 GG müssen dementsprechend auch die Auslegung der
      Norm anleiten. Danach sind die Tatbestandsmerkmale so
      auszulegen, dass der Strafanspruch allein Beeinträchtigungen
      des öffentlichen Friedens im dargelegten Verständnis der
      Friedlichkeit gilt (siehe
      oben C III 1 b bb). 


99  


Für die insoweit maßgebliche Frage, ob die
      Äußerung einer Meinung allein auf der geistigen Wirkebene
      bleibt oder die Schwelle zu einer sich abzeichnenden
      Rechtsgutgefährdung überschreitet, kommt es dabei
      insbesondere darauf an, ob die Gefahren, die als Folge dieser
      Meinungsäußerung im Raum stehen, erst als Fernwirkung mit der
      weiteren freien Überzeugungsbildung drohen oder ob deren
      Realisierung mit der Äußerung bereits in Gang gesetzt wird.
      Je mehr die mit der Propagierung einer Ideologie intendierten
      Wirkungen nur als abstrakte Konsequenz eines Gedankengebäudes
      erscheinen, desto deutlicher verbleiben sie in der geistigen
      Sphäre, die grundsätzlich geschützt ist. Je mehr sie hingegen
      durch die Art der Äußerung konkret und unmittelbar greifbar
      werden, je mehr sie auf konkrete Personen, Personengruppen
      oder reale Situationen aktuell bedrohlich bezogen werden,
      desto eher lassen sie sich der Realsphäre zuordnen. Eine bloß
      symbolische Präsentation von Überzeugungen, Lehren oder
      Heilsentwürfen wird dabei eher der geistigen Sphäre
      zugeordnet werden können, als wenn Rechtsverletzungen etwa in
      Form historischer Ereignisse konkret und unmittelbar
      ausgemalt und als wünschenswert in den Raum gestellt
      werden. 


100  


b) Nach diesen Grundsätzen ist für eine
      Verwirklichung des § 130 Abs. 4 StGB erforderlich,
      dass die mit dieser Vorschrift erfasste Gutheißung erkennbar
      gerade auf den Nationalsozialismus als historisch reale
      Gewalt- und Willkürherrschaft bezogen ist. Verstanden als
      zusammengehöriger Begriff, der die für das NS-Regime
      kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen (vgl. BGH, Urteil
      vom 28. Juli 2005 - 3 StR 60/05 -, NStZ
      2006, S. 335 <337>) und damit geschichtlich reale
      Willkürakte von verbrecherischer Qualität umschreibt,
      bezeichnet er Rechtsverletzungen, deren zustimmende
      Evozierung in der Öffentlichkeit oder einer Versammlung eine
      potentielle Wiederholbarkeit real werden lässt und die
      Friedlichkeit der politischen Auseinandersetzung gefährden
      kann. Demgegenüber reicht für die Erfüllung dieses
      Tatbestandes nicht jedwede Zustimmung zu Geschehnissen dieser
      Zeit oder eine Gutheißung allgemein nationalsozialistischen
      Gedankenguts. So genügt etwa eine falsche
      Geschichtsinterpretation oder das Bekenntnis zur
      nationalsozialistischen Ideologie für eine Bestrafung nach
      § 130 Abs. 4 StGB nicht. 


101  


Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG
      auszulegen sind auch die Tatbestandsmerkmale der Billigung,
      Verherrlichung und Rechtfertigung. Dabei ist von Verfassungs
      wegen nicht zu beanstanden, wenn hierunter auch eine
      konkludente, das heißt eine nicht ausdrückliche, aber sich
      aus den Umständen ergebende Billigung verstanden wird.
      Allerdings muss sich diese nach außen manifestieren.
      Erforderlich ist insoweit eine erkennbar aktive Billigung,
      die ihre Sinnbedeutung in sich selbst trägt (vgl. auch BGHSt
      22, 282 <286>). Eine Billigung in Form des - auch
      geschichtsverfälschend einseitigen - bloßen Unterlassens
      der Erwähnung von geschehenen Gewalttaten im Zusammenhang mit
      positiven Bezugnahmen auf Ereignisse der NS-Zeit
      überschreitet die Schwelle zur enthemmenden
      Gewaltverherrlichung hingegen grundsätzlich nicht.
      Demgegenüber kann eine Billigung auch in der glorifizierenden
      Ehrung einer historischen Person liegen, wenn sich aus den
      konkreten Umständen ergibt, dass diese als Symbolfigur für
      die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft als
      solche steht. 


102  


Liegt nach vorstehenden Maßgaben eine
      Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vor,
      ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn
      hieraus die Vermutung abgeleitet wird, dass durch solche
      Äußerungen auch die Würde der Opfer verletzt wird. Der
      Gesetzgeber hat § 130 Abs. 4 StGB primär und für
      sich tragfähig auf den Schutz des öffentlichen Friedens
      gestützt und dabei das weitere Tatbestandsmerkmal „in einer
      die Würde der Opfer verletzenden Weise“ als modale Ergänzung
      eingrenzend angefügt. Hiergegen bestehen verfassungsrechtlich
      keine Bedenken, unabhängig davon, ob oder wie weit der Schutz
      der Würde der Opfer immer mit dem Schutz der Menschenwürde
      nach Art. 1 Abs. 1 GG zusammenfällt. Auf ein
      Vorliegen der besonders strengen Voraussetzungen für die
      Annahme einer Menschenwürdeverletzung kommt es bei der
      Auslegung des § 130 Abs. 4 StGB folglich nicht
      an. 


103  


Entsprechend kann bei tatbestandlicher
      Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft grundsätzlich das Vorliegen einer Störung
      des öffentlichen Friedens vermutet werden. Das
      Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens
      dient primär der Erfassung untypischer Situationen, in denen
      die Vermutung der Friedensstörung aufgrund besonderer
      Umstände nicht trägt und sich deshalb die Meinungsfreiheit
      durchsetzen muss (vgl. oben C V 2 b). In
      Betracht zu ziehen ist dies, wenn im konkreten Fall
      gewaltanreizende und einschüchternde oder bedrohende
      Wirkungen ausgeschlossen werden können, etwa weil Äußerungen
      im Rahmen kleiner geschlossener Versammlungen keine Tiefen-
      oder Breitenwirkung erreichen, sie beiläufig bleiben oder
      unter den konkreten Umständen nicht ernst genommen werden
      können. 


104  


2. Für die Auslegung des § 130
      Abs. 4 StGB gelten des Weiteren die von der
      Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allgemein zu
      Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG entwickelten
      Deutungsregeln. Danach ist Voraussetzung jeder rechtlichen
      Würdigung von Meinungsäußerungen, dass ihr Sinn zutreffend
      erfasst worden ist. Maßgeblich ist hierfür der Sinn, den die
      Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und
      verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der
      Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht
      abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen
      Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den
      Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit
      diese für die Rezipienten erkennbar waren. Urteile, die den
      Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf
      ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das
      Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt, wenn ein
      Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung
      führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen
      möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu
      haben (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; stRspr). 

 

II. 


105  


Die angegriffene Entscheidung ist nach diesen
      Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 


106  


Das Bundesverwaltungsgericht legt seiner
      Auslegung des § 130 Abs. 4 StGB ein Verständnis
      zugrunde, das mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in
      Einklang steht. Es versteht § 130 Abs. 4 StGB im
      Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG zutreffend dahin, dass
      nicht schon die Gutheißung von Maßnahmen unter der Herrschaft
      des Nationalsozialismus als solche die Erfüllung des
      Tatbestandes begründet, sondern nur eine solche, die sich
      gerade auf den Nationalsozialismus als Gewalt- und
      Willkürherrschaft bezieht, wobei hierunter die systematisch
      begangenen, schweren Menschenrechtsverletzungen verstanden
      werden, wie sie historisch wirklich geworden sind.
      Ausdrücklich führt das Bundesverwaltungsgericht im Blick auf
      die Meinungsfreiheit aus, dass die positive Bewertung nur von
      einzelnen Aspekten der damaligen Staats- und
      Gesellschaftsordnung, bei denen sich kein Bezug zur
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft und den
      sie kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen herstellen
      lässt, den Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB nicht
      erfüllt. 


107  


Nicht zu beanstanden ist auch, wenn das
      Bundesverwaltungsgericht eine konkludente Billigung der
      nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft durch
      die ostentative Verehrung von Verantwortungsträgern und
      Symbolfiguren dieses Regimes für möglich hält. Die
      Entscheidung legt insoweit eine differenzierende, der
      Meinungsfreiheit Rechnung tragende Auffassung zugrunde, nach
      der eine solche Billigung nur dann anzunehmen ist, wenn die
      geehrte Person unter den gegebenen Umständen als Symbolfigur
      für die Herrschaft des Nationalsozialismus als solche steht,
      nicht aber schon dann, wenn sich positive oder selbst
      verharmlosende Äußerungen auf - auch führende -
      Vertreter des Nationalsozialismus beziehen, die nur der
      Person gelten. Keinen verfassungsrechtlichen Einwänden
      unterliegt hierbei auch die Beurteilung, dass die
      uneingeschränkte Verherrlichung einer Symbolfigur, die für
      die nationalsozialistische Herrschaft insgesamt steht, sich
      zugleich als eine Billigung der Gewalt- und Willkürherrschaft
      darstellt. Eine Billigung, die sich vorbehaltlos auf die
      Herrschaft des Nationalsozialismus in den Jahren zwischen
      1933 und 1945 als Ganze bezieht, wird bei einem unbefangenen
      Betrachter unweigerlich auch und vor allem als Billigung der
      diese Zeit kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen
      verstanden werden. 


108  


Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken
      unterliegt die hierauf bezogene fachgerichtliche Beurteilung
      des konkreten Falls, nach der die vom Beschwerdeführer
      geplante Versammlung zum „Gedenken an Rudolf Heß“ eine
      Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und
      Willkürherrschaft bedeutet hätte. Das
      Bundesverwaltungsgericht geht zutreffend von den aus
      Art. 5 Abs. 1 GG folgenden Deutungsregeln für die
      Auslegung von Meinungsäußerungen aus und kommt vertretbar zu
      dem Urteil, dass die rückhaltlose Glorifizierung von Rudolf
      Heß aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen
      Publikums unter den konkreten Umständen nicht anders als eine
      uneingeschränkte Billigung der nationalsozialistischen
      Herrschaft im Ganzen - und damit insbesondere auch der
      unter ihr verübten Menschenrechtsverletzungen - hätte
      verstanden werden können. Es stellt hierbei maßgeblich darauf
      ab, dass Rudolf Heß - ungeachtet von einzelnen
      Äußerungen, die isoliert betrachtet auch offen für andere
      Deutungen wären - bei Gesamtwürdigung der geplanten
      Versammlung als „Stellvertreter des Führers“, wesentlich
      Mitverantwortlicher für das Geschehen und damit des
      nationalsozialistischen Regimes als solchen geehrt werden
      sollte. Angesichts der langjährigen und zeitweilig besonders
      engen Beziehung zwischen Adolf Hitler und
      Rudolf Heß, die auch in der äußerst hervorgehobenen
      Funktion von Rudolf Heß als „Stellvertreter des Führers“ in
      allen Parteiangelegenheiten seinen Ausdruck gefunden hatte,
      sowie seiner persönlichen Verantwortung für massive
      Menschenrechtsverletzungen hält sich die Einschätzung, dass
      sich eine solche Deutung bei der Versammlung in den
      Vordergrund geschoben hätte, im fachgerichtlichen
      Wertungsrahmen. 


109  


Hieran anknüpfend ist es verfassungsrechtlich
      auch nicht zu beanstanden, wenn das Bundesverwaltungsgericht
      - in Auslegung des § 130 Abs. 4 StGB als
      einfaches Recht - aus der uneingeschränkten Billigung
      des nationalsozialistischen Herrschaftssystems regelhaft eine
      Verletzung der Würde der Opfer abgeleitet hat. Dabei kann
      dahingestellt bleiben, ob, wie das Bundesverwaltungsgericht
      annimmt, hiermit stets auch eine Verletzung der Menschenwürde
      im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG verbunden ist. 


110  


Auch bestehen gegen die Annahme einer Störung
      des öffentlichen Friedens durch die geplante Versammlung
      keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Anhaltspunkte, die zu
      der Prüfung Anlass hätten geben müssen, ob vorliegend die
      grundsätzlich in der Billigung der nationalsozialistischen
      Gewalt- und Willkürherrschaft liegende Störung des
      öffentlichen Friedens durch besondere Umstände auszuschließen
      war, sind nicht ersichtlich. 


   




Papier 
Hohmann-Dennhardt 
Bryde 


Gaier 
Eichberger 
Schluckebier 


Kirchhof 
 
Masing