Fall 64
Aktenzeichen: 1 BvR 2636/04
Beck Online: NVwZ-RR 2010 625.0

cid 64 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 2636/04 - 

 

 

 

Im Namen des Volkes 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   


des Herrn W… 


   





gegen
          a) 

den Beschluss des
          Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
          vom 25. Oktober 2004 - 5 A 2764/03 -, 



b) 

das Urteil des
          Verwaltungsgerichts Minden vom 16. April 2003 - 11 K
          671/02 - 




   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
den Vizepräsidenten Kirchhof 
      und die Richter Eichberger, 
      Masing 


   


am 12. Mai 2010 einstimmig beschlossen: 


   


Das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom
      16. April 2003 - 11 K 671/02 -, soweit darin die Klage des
      Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der
      Auflage Nr. 4 in dem Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums
      Bielefeld vom 1. März 2002 - VL 12.5-231-W-02/01 - abgewiesen
      wird, und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das
      Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2004 - 5 A 2764/03
      -, soweit darin der Antrag des Beschwerdeführers auf
      Zulassung der Berufung zurückgewiesen wird, verletzen den
      Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1
      des Grundgesetzes. 
Die Entscheidungen werden in dem vorgenannten
      Umfang aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das
      Verwaltungsgericht Minden zurückverwiesen. 
      Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die
      notwendigen Auslagen zu erstatten. 


   


Gründe: 


1  


Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich
      der Beschwerdeführer als Veranstalter einer Versammlung gegen
      verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die eine
      versammlungsrechtliche Auflage gemäß § 15 Abs. 1 VersG
      zum Gegenstand haben, aufgrund derer die Teilnehmer der
      Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich
      durchsucht werden. 

 

I. 


2  


1. Der Beschwerdeführer meldete aus Anlass der
      vom 27. Januar bis zum 17. März 2002 in Bielefeld
      gezeigten Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen
      des Vernichtungskrieges 1941 - 1944“ (im Folgenden:
      Wehrmachtsausstellung) für den 2. März 2002 in Bielefeld eine
      Versammlung unter freiem Himmel mit dem Motto „Die Soldaten
      der Wehrmacht waren Helden, keine Verbrecher“ an. Mit sofort
      vollziehbarer Verbotsverfügung vom 18. Februar 2002
      verbot das Polizeipräsidium Bielefeld die Versammlung. Die
      hiergegen vom Beschwerdeführer angestrengten Verfahren des
      einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten
      blieben erfolglos (vgl. VG Minden, Beschluss vom 27. Februar
      2002 - 11 L 185/02 -, juris; OVG für das Land
      Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2002 - 5 B
      388/02 -, juris). 


3  


2. Mit Beschluss vom 1. März 2002 stellte die
      1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts im
      Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung
      des Widerspruchs des Beschwerdeführers gegen die
      Verbotsverfügung wieder her (vgl. BVerfG, Beschluss der 1.
      Kammer des Ersten Senats vom 1. März 2002 - 1 BvQ 5/02 -,
      NVwZ 2002, S. 982). 


4  


3. Mit Bescheid vom 1. März 2002 ordnete das
      Polizeipräsidium Bielefeld daraufhin für die Durchführung der
      Versammlung eine Reihe von Auflagen an, darunter auch die
      Auflage Nr. 4: 


5  


„Die Teilnehmer der Versammlung werden vor
      Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht“. 


6  


4. Im Laufe des Verfahrens vor dem
      Verwaltungsgericht legte der Beschwerdeführer eidesstattliche
      Versicherungen von zwei Teilnehmern der einen Monat zuvor am
      2. Februar 2002 durchgeführten, ebenfalls gegen die
      Wehrmachtsausstellung gerichteten Versammlung der NPD vor (im
      Folgenden: Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2.
      Februar 2002). Darin schilderten die zwei Teilnehmer, dass
      ihnen auf der Versammlung die Aufgabe zugefallen sei, den
      Lautsprecherwagen gegen eventuelle Übergriffe gewaltsamer
      Gegendemonstranten zu sichern, insbesondere zu verhindern,
      dass eventuell Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse die
      Fenster beschädigten. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer
      die eidesstattliche Versicherung eines Teilnehmers einer
      Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig vor. Darin
      schilderte dieser, dass die Versammlung von linken
      Demonstranten mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen
      beworfen worden sei. Nur den Ordnern der Versammlung sei es
      zu verdanken gewesen, dass die Teilnehmer der Versammlung von
      einer berechtigten Notwehrreaktion hätten zurückgehalten
      werden können. Einmal sei eine Polizeikette gegen die
      Teilnehmer vorgegangen, als sie sich hätten verteidigen
      wollen. 


7  


5. Mit angegriffenem Urteil vom 16. April 2003
      wies das Verwaltungsgericht - unter anderem - die Klage
      des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit
      der Auflage Nr. 4 im Auflagenbescheid vom 1. März 2002 ab.
      Für seine Gefahrenprognose gemäß § 15 Abs. 1 VersG
      stützte sich das Verwaltungsgericht auf den Umstand, dass die
      zwei Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung
      am 2. Februar 2002 Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse
      befürchtet hätten. Außerdem bezog das Verwaltungsgericht den
      Umstand mit ein, dass es laut der eidesstattlichen
      Versicherung des Teilnehmers der Versammlung am 1. September
      2001 in Leipzig tatsächlich zu Gewalttätigkeiten durch
      Gegendemonstranten gekommen sei. Ebenso wie die beiden
      Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2.
      Februar 2002 die Bereitschaft zu gewalttätigem (Angriffs-
      oder Abwehr-)Verhalten aus den Reihen der Gegenversammlung
      für möglich gehalten hätten, habe das Polizeipräsidium
      Bielefeld Vergleichbares bei der geplanten Versammlung vier
      Wochen später befürchten müssen, und zwar bei den Teilnehmern
      der vom Beschwerdeführer angemeldeten Versammlung genauso wie
      bei den Gegendemonstranten, zumal zu beiden Versammlungen am
      2. März 2002 jeweils zahlreiche, in der Menge schwer zu
      kontrollierende Teilnehmer erwartet worden seien (der
      Beschwerdeführer sei bei der Anmeldung seiner Versammlung von
      1.000 bis 2.000 Teilnehmern ausgegangen). Unter diesen
      Umständen hätten objektive Anhaltspunkte für das Auffinden
      sicherstellbarer Gegenstände bestanden, welche das
      Polizeipräsidium Bielefeld dazu berechtigt hätten, pauschal
      im Wege einer Auflage die polizeiliche Durchsuchung aller
      Versammlungsteilnehmer vor dem Veranstaltungsbeginn
      anzuordnen. Eines konkreten Verdachts gegen bestimmte
      Versammlungsteilnehmer, insbesondere gegen den
      Beschwerdeführer, habe es insoweit nicht bedurft. 


8  


6. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Oktober
      2004 wies das Oberverwaltungsgericht - unter anderem - den
      auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Antrag auf
      Zulassung der Berufung bezüglich der Auflage Nr. 4 zurück.
      Zur Begründung verwies das Oberverwaltungsgericht
      entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die
      Ausführungen in dem angegriffenen Urteil. Im Übrigen sei die
      Auflage Nr. 4 verhältnismäßig, weil sie dazu beitrage, die
      nach dem Versammlungsgesetz gebotene Gewaltlosigkeit der
      Versammlung und damit letztlich die Versammlung selbst zu
      sichern. 


9  


7. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der
      Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines
      Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8
      Abs. 1 GG. 


10  


8. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das
      Polizeipräsidium Bielefeld als Beklagter des
      Ausgangsverfahrens und der für das Versammlungsrecht
      zuständige Sechste Revisionssenat des
      Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen. Das
      Polizeipräsidium hält die Auflage für durch eine hinreichende
      Gefahrenprognose gerechtfertigt. Demgegenüber hat das
      Bundesverwaltungsgericht Zweifel, ob die angegriffenen
      Entscheidungen in jeder Hinsicht mit der Versammlungsfreiheit
      übereinstimmen. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat von einer
      Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens
      haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. 

 

II. 


11  


Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß
      § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung
      angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des
      Beschwerdeführers angezeigt ist. 


12  


1. Das Bundesverfassungsgericht hat die
      maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des
      Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8
      Abs. 1 GG bereits entschieden und dabei auch die zu
      berücksichtigenden Grundsätze entwickelt. Dies gilt
      insbesondere für die Bedeutung der Versammlungsfreiheit bei
      der Gefahrenprognose im Rahmen von Entscheidungen der
      Behörden und Gerichte anhand von § 15 Abs. 1 VersG (vgl.
      BVerfGE 69, 315 <349, 352 ff.>; speziell zu
      versammlungsrechtlichen Auflagen: Beschlüsse der 1. Kammer
      des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -,
      NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 21. April 1998 - 1 BvR
      2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>), namentlich in der
      Konstellation von Störungen der öffentlichen Sicherheit durch
      Gegendemonstranten (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>;
      Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2001 -
      1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, S. 1411 <1412>) und von
      polizeilichen Kontrollen im Vorfeld von Versammlungen (vgl.
      BVerfGE 69, 315 <349>; 84, 203 <209>). 


13  


2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im
      Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich
      begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den
      Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der
      Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. 


14  


a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit
      aus Art. 8 Abs. 1 GG ist eröffnet, da die Auflage, dass
      die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung
      polizeilich durchsucht werden, den freien Zugang zu einer
      bevorstehenden Versammlung betrifft. Der gesamte Vorgang des
      Sich-Versammelns unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1
      GG (vgl. BVerfGE 84, 203 <209>). 


15  


b) Die Auflage bedeutet auch einen Eingriff in
      die Versammlungsfreiheit. Ein Eingriff ist nicht nur dann
      gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird,
      sondern auch, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch
      staatliche Maßnahmen beschränkt wird (vgl. BVerfGE 69, 315
      <349>). Die Auflage, dass die Teilnehmer einer
      Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich
      durchsucht werden, behindert den freien Zugang zu der
      Versammlung. Eine polizeiliche Durchsuchung ist - zumal
      wenn sie pauschal jeden Versammlungsteilnehmer erfasst -
      geeignet, einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu
      entfalten, die Teilnehmer in den Augen der Öffentlichkeit als
      möglicherweise gefährlich erscheinen zu lassen und damit
      potentielle Versammlungsteilnehmer von einer Teilnahme
      abzuhalten. 


16  


c) Beschränkungen der Versammlungsfreiheit
      bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung
      einer gesetzlichen Grundlage. Im vorliegenden Fall wurde die
      Auflage auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt. 


17  


aa) Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die
      verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit
      Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor,
      dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur
      Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei
      Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar
      gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der
      Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von
      Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die
      Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose
      sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte
      erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen
      hierzu nicht aus (vgl. Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten
      Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S.
      834 <835>; vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR
      2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 7. November
      2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris Rn. 17). Für die Gefahrenprognose
      können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen
      als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des
      Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und
      Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante
      Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der
      1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009
      - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141). 


18  


Wenn sich der Veranstalter und sein Anhang
      allerdings friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen
      Sicherheit, insbesondere Gewalttaten, lediglich von
      Gegendemonstrationen ausgehen, müssen sich behördliche
      Maßnahmen primär gegen die störenden Gegendemonstrationen
      richten. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen
      Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die
      Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die
      friedliche Versammlung, die den Anlass für die
      Gegendemonstration bildet, darf nur unter den besonderen
      Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten
      werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss
      der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ
      24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). 


19  


Die Darlegungs- und Beweislast für das
      Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt
      bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des
      Ersten Senats vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001,
      S. 2078 <2079>; vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09
      -, NJW 2010, S. 141 <142>). 


20  


Zwar sind die Feststellung der Tatsachen, auf
      die sich die Gefahrenprognose gründet, sowie die Würdigung
      dieser Tatsachen grundsätzlich Sache der Fachgerichte und
      entziehen sich einer Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts.
      Dieses hat allerdings zu überprüfen, ob bei der Auslegung und
      Anwendung des einfachen Rechts der Einfluss der
      Versammlungsfreiheit hinreichend beachtet worden ist. Eine
      solche Prüfung verlangt eine intensivierte Kontrolle, ob die
      von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen
      Feststellungen die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu
      tragen vermögen (vgl. BVerfGE 84, 203 <210>). 


21  


bb) Diesen verfassungsrechtlichen
      Anforderungen für die Gefahrenprognose im Rahmen von
      § 15 Abs. 1 VersG wird die angegriffene Entscheidung des
      Verwaltungsgerichts nicht gerecht. 


22  


(1) Die von dem Verwaltungsgericht
      herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, eine von der
      Versammlung selbst ausgehende Gefahr für die öffentliche
      Sicherheit nahezulegen, die den Erlass einer gegenüber der
      Versammlung belastenden Auflage hätte rechtfertigen
      können. 


23  


Zwar durfte das Verwaltungsgericht
      grundsätzlich den Verlauf der
      Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002
      als Indiz heranziehen, da sie wegen der Zielrichtung, hier
      der Propagierung einer bestimmten Interpretation der jüngeren
      deutschen Geschichte, des Ortes und der zeitlichen Nähe
      Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten
      Versammlung aufwies. Die zwei Teilnehmer dieser Versammlung
      haben in ihren von dem Verwaltungsgericht angeführten
      eidesstattlichen Versicherungen indes lediglich
      organisatorische Vorsichtsmaßnahmen auf Veranstalterseite
      gegen eventuelle Übergriffe gewaltbereiter linker
      Gegendemonstranten beschrieben. Diese Aussagen privater
      Personen zu ihrerseits lediglich verdachtsgeleiteten
      Handlungen stellen keine nachvollziehbaren tatsächlichen
      Anhaltspunkte dar, wie sie für eine Gefahrenprognose im
      Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG erforderlich sind. Vor
      allem lässt sich dieser Aussage nicht ansatzweise entnehmen,
      dass sich die Teilnehmer der Versammlung bei dieser
      Gelegenheit nicht rechtstreu verhalten haben. 


24  


Dagegen hat das Verwaltungsgericht keine
      tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und
      inwieweit die Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig
      Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten
      Versammlung aufwies und daher im Rahmen der Gefahrenprognose
      als Indiz herangezogen werden durfte. Außerdem hat der
      Teilnehmer der Versammlung in seiner von dem
      Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherung
      lediglich Übergriffe gewalttätiger linker Gegendemonstranten
      beschrieben. Nach seiner Darstellung haben hauptsächlich die
      Ordner, in einem Fall die Einsatzkräfte der Polizei, die
      solchermaßen provozierten Teilnehmer der Versammlung
      erfolgreich im Zaum gehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die
      Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten
      Versammlung aus eigenem Antrieb die gewalttätige
      Auseinandersetzung mit den linken Gegendemonstranten gesucht
      hätten, ergeben sich aus dieser Aussage nicht. 


25  


Auch soweit das Verwaltungsgericht bei seiner
      Gefahrenprognose auf die Größe des zu erwartenden
      Teilnehmerkreises der von dem Beschwerdeführer veranstalteten
      Versammlung abgestellt hat, trägt dieser Umstand die Auflage
      nicht. Denn allein aus der Größe einer Versammlung kann nicht
      auf die Gewaltbereitschaft der Teilnehmer geschlossen
      werden. 


26  


Insgesamt scheint die Gefahrenprognose des
      Verwaltungsgerichts allein auf der - nicht ausgesprochenen -
      Vermutung zu gründen, die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer
      veranstalteten Versammlung könnten durch frühere Störungen
      von gewalttätigen linken Gegendemonstranten gereizt nunmehr
      zum Präventivschlag ausholen. Bloße Verdachtsmomente oder
      Vermutungen ohne hinreichende konkrete Tatsachengrundlage
      reichen jedoch, wie dargelegt, für die Gefahrenprognose im
      Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG nicht aus. Der Umstand,
      dass bei der von dem Beschwerdeführer veranstalteten
      Versammlung Störungen der öffentlichen Sicherheit durch
      gewaltbereite linke Gegendemonstranten zu befürchten waren,
      hätte den zuständigen Behörden Anlass sein müssen, zuvörderst
      gegen die angekündigten Gegendemonstrationen Maßnahmen zu
      ergreifen. Das durch gewaltbereite Gegendemonstranten
      drohende Gefahrenpotential ist der von dem Beschwerdeführer
      veranstalteten Versammlung nicht zurechenbar. 


27  


(2) Als Nichtstörerin hätte die vom
      Beschwerdeführer veranstaltete Versammlung daher nur im Wege
      des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden
      können. 


28  


Im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen
      des polizeilichen Notstandes sind der angegriffenen
      Entscheidung des Verwaltungsgerichts indessen weder die
      erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch Ansätze für
      deren notwendige rechtliche Würdigung zu entnehmen. Zwar
      dürfen die diesbezüglichen Anforderungen an Durchsuchungen,
      die letztlich nur der Ermöglichung einer friedlichen
      Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit dienen, in Situationen,
      die insgesamt durch drohende Gewalt geprägt sind, nicht zu
      hoch angesetzt werden. Jedoch bedarf es insoweit zumindest
      der Darlegung, dass ein Schutz vor Gefahren für die
      öffentliche Sicherheit primär durch Maßnahmen gegenüber den
      Störern ins Werk gesetzt wird und dass er auf diese Weise
      aber nur unzureichend gewährleistet werden kann. Hieran fehlt
      es indes. So fehlen insbesondere Ausführungen dazu, dass und
      inwieweit gegen die angekündigten Gegendemonstrationen
      gerichtete, behördliche Maßnahmen nicht ausgereicht haben,
      der gewaltbereiten Gegendemonstranten Herr zu werden und so
      der Gefahr einer etwaigen gewalttätigen Eskalation zu
      begegnen. Feststellungen hierzu hat das Verwaltungsgericht
      nicht getroffen. Unter dem Gesichtspunkt der Eskalation fehlt
      es weiterhin an konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen
      Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Teilnehmer der von
      dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung überhaupt
      unter Rückgriff auf mitgebrachte Gegenstände zur Schutz- und
      Trutzwehr übergehen würden. 


29  


cc) Der angegriffene Beschluss des
      Oberverwaltungsgerichts teilt den festgestellten Mangel des
      verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das Oberverwaltungsgericht
      hat sich die Gründe des Verwaltungsgerichts ausdrücklich
      gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu Eigen gemacht. Der
      über diese Bezugnahme hinausgehende pauschale Verweis auf die
      behauptete Verhältnismäßigkeit der Auflage erweist sich
      angesichts der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite
      hinsichtlich der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen
      und der notwendigen rechtlichen Würdigung als nicht
      tragfähig. 


30  


dd) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen
      auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht
      auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen
      erneuten Befassung und unter Berücksichtigung der
      grundrechtlichen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG zu
      einem anderen Ergebnis kommen. Hierbei werden die Gerichte -
      neben den bereits angesprochenen Gesichtspunkten - zu prüfen
      haben, ob und gegebenenfalls welche Gegenstände die
      polizeiliche Durchsuchung der Teilnehmer bei der
      Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar
      2002 zutage gefördert wurden, die laut der Stellungnahme des
      Polizeipräsidiums Bielefeld in dem
      Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits gegenüber dieser
      Versammlung angeordnet worden war. 


31  


3. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen
      des Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 GG Erfolg hat, bedarf
      es keiner Prüfung, ob daneben weitere Grundrechte verletzt
      sind. 


32  


4. Die Entscheidung über die Erstattung der
      notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus
      § 34a Abs. 2 BVerfGG. 


   




Kirchhof 
Eichberger 
Masing