Fall 70
Aktenzeichen: 1 BvR 142/05
Beck Online: BeckRS 2011 49493.0

cid 70 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvR 142/05 - 

 

 

 

Im Namen des Volkes 

 

In dem Verfahren 
      über 
      die Verfassungsbeschwerde 


   


des Herrn H… 


   



        - Bevollmächtigte:
       

        Rechtsanwältin Karen Ullmann, 
        Bergiusstraße 27, 22765 Hamburg -
       


   





gegen
          a) 

den Beschluss des
          Landgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2004 - 614 Qs 38/04
          -, 



b) 

den Beschluss des
          Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 30. April 2004 - 325 Cs
          7101 Js 18/04 (171/04) -, 




   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
den Vizepräsidenten Kirchhof 
      und die Richter Eichberger, 
      Masing 


   


am 8. März 2011 einstimmig beschlossen: 


   


Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Altona
      vom 30. April 2004 - 325 Cs 7101 Js 18/04 (171/04) - und
      der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10. Dezember
      2004 - 614 Qs 38/04 - verletzen den
      Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz
      2 Satz 2 und Artikel 104 Absatz 2 Satz 2
      des Grundgesetzes, soweit sie die gegenüber dem
      Beschwerdeführer am 27. und 28. September 2003 ergangenen
      Maßnahmen der Polizeibehörden der Freien und Hansestadt
      Hamburg auch nach Vorlage und Überprüfung seiner
      Ausweispapiere als rechtmäßig feststellen. 
Die Beschlüsse werden insoweit aufgehoben. Die
      Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht
      Hamburg-Altona zurückverwiesen. 
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht
      zur Entscheidung angenommen. 
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem
      Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. 
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen
      Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 €
      festgesetzt. 


   


Gründe: 


1  


Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner
      Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen gegen Beschlüsse des
      Amtsgerichts und Landgerichts, mit denen eine mehrstündige
      Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers durch die Polizei zur
      Identitätsfeststellung für rechtmäßig erklärt wurde. 

 

I. 


2  


1. Am Nachmittag des 27. September 2003 betrat
      der Beschwerdeführer mit einer Gruppe von circa 100 Personen
      aus dem Umfeld der sogenannten Bauwagenszene in Hamburg ohne
      entsprechende Erlaubnis oder Billigung der Berechtigten ein
      Grundstück in der Absicht, das Gelände für sich als neuen
      Wohnsitz und ständigen Aufenthaltsort sowie als Abstellort
      für vier mitgeführte Bauwagen zu nutzen. Der Aktion
      vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen der Stadt und
      Vertretern der Bauwagenszene über dieses Gelände als
      Ersatzstandort für einen im Jahre 2002 geschlossenen
      Bauwagenplatz. 


3  


Gegen 18.00 Uhr versperrte die angerückte
      Polizei die Ausgänge des Geländes, so dass die an der Aktion
      beteiligten Personen das Gelände nicht mehr verlassen
      konnten. Um 18.35 Uhr stellte ein Vertreter der Berechtigten
      Strafantrag gegen die auf dem Gelände befindlichen Personen.
      Die Polizei stellte die Identität der betreffenden Personen
      vor Ort fest. Gegen 19.55 Uhr umstellte die Polizei die sich
      auf dem Gelände befindlichen Personen. Die Feuerwehr
      leuchtete den Platz mit Flutlicht aus und die Polizei gab den
      Eingeschlossenen um 20.12 Uhr über Megaphon bekannt, dass sie
      wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs vorläufig
      festgenommen seien. Insgesamt handelte es sich hierbei
      einschließlich des Beschwerdeführers noch um circa 80
      Personen. Die Polizei führte die Personen ab circa 20.20 Uhr
      nacheinander aus dem Kessel; die Räumung dauerte bis 21.55
      Uhr. Der Beschwerdeführer wies sich dabei nach Aufforderung
      erneut unter Vorlage eines gültigen Reisepasses samt
      Meldebestätigung aus. Die Polizei verbrachte ihn zusammen mit
      anderen Personen zu einer Polizeiwache, wo der
      Beschwerdeführer bis circa 3.00 Uhr in einer Zelle
      festgehalten wurde, ohne dass die Polizei in der Zwischenzeit
      ihn betreffende Maßnahmen durchführte. Gegen 3.00 Uhr
      verbrachte die Polizei den Beschwerdeführer zum
      Polizeipräsidium, wo der Beschwerdeführer wiederum eine
      Stunde in einer Zelle verbrachte, bis er erkennungsdienstlich
      behandelt wurde (Anfertigung von zwei Lichtbildern). Die
      Polizei stützte diese Maßnahme auf § 81b Alt. 1
      StPO. Sie entließ den Beschwerdeführer am 28. September 2003
      gegen 4.30 Uhr. 


4  


2. Am 27. Oktober 2003 beantragte der
      Beschwerdeführer beim Amtsgericht die nachträgliche
      Feststellung, dass die Freiheitsentziehung von 18.00 Uhr bis
      4.30 Uhr von Anfang an dem Grunde und der Dauer nach sowie
      die Behandlung während der Freiheitsentziehung rechtswidrig
      waren. Mit Beschluss vom 30. April 2004 stellte das
      Amtsgericht fest, dass die zum Nachteil des Beschwerdeführers
      vollzogene Freiheitsentziehung ungeachtet der falschen
      Bezeichnung als vorläufige Festnahme gemäß § 163b StPO
      rechtmäßig gewesen sei. In Anbetracht der großen Anzahl der
      Beschuldigten sei eine Identitätsfeststellung vor Ort nur
      unter sehr erschwerten Bedingungen möglich gewesen. 


5  


3. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2004 verwarf
      das Landgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers. Diese
      sei schon unzulässig, da ein Rechtsschutzinteresse an der
      Feststellung der Rechtswidrigkeit erledigter
      Ermittlungsmaßnahmen nicht vorliege. Im Übrigen sei die
      Beschwerde auch unbegründet. Es habe sich bei der Maßnahme
      ersichtlich nicht um eine vorläufige Festnahme nach
      § 127 Abs. 2 StPO gehandelt. Die Polizei habe die
      Identität des Beschwerdeführers feststellen und ihn dafür
      auch nach § 163b StPO festhalten und gemäß § 81b
      StPO erkennungsdienstlich behandeln dürfen. 


6  


Auf eine Gegenvorstellung des
      Beschwerdeführers beschloss das Landgericht, die Entscheidung
      nicht abzuändern. 


7  


4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der
      Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte und
      grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2 Abs. 2
      Satz 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 19
      Abs. 4 und Art. 104 Abs. 1 und 2 GG. Es habe
      sich um eine Freiheitsentziehung gehandelt. Eine
      Rechtsgrundlage für die Verwahrung habe nicht vorgelegen;
      jedenfalls sei der Eingriff nicht verhältnismäßig. Die
      Gerichte hätten wegen der Verkennung des Vorliegens einer
      Freiheitsentziehung auch übersehen, dass das
      Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2
      Satz 2 GG verletzt sei. 


8  


5. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg
      hat von der Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch
      gemacht. 


9  


6. Dem Bundesverfassungsgericht haben die
      Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Aus ihnen ergibt
      sich, dass das Amtsgericht das gegen den Beschwerdeführer
      gerichtete Verfahren wegen Hausfriedensbruchs gemäß
      § 153a Abs. 2 StPO nach der Zahlung eines Bußgeldes
      in Höhe von 150 € endgültig eingestellt hat. 

 

II. 


10  


Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem
      Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2
      Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen, da dies zur
      Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt
      ist; im Übrigen ist sie nicht zur Entscheidung
      anzunehmen. 


11  


1. Die Voraussetzungen für eine stattgebende
      Kammerentscheidung liegen insoweit vor (§ 93c
      Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b
      BVerfGG). 


12  


Das Bundesverfassungsgericht hat die
      maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits
      entschieden. Dies gilt für die verfassungsrechtlichen
      Maßstäbe im Hinblick auf Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht
      des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit
      Art. 104 Abs. 1 und 2 GG einschließlich der
      besonderen Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl.
      BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 94, 166
      <198>; 105, 239 <249 f.>). 


13  


a) Die Verfassungsbeschwerde, die sich bei
      verständiger Würdigung nur gegen die die polizeilichen
      Maßnahmen bestätigenden Beschlüsse des Amtsgerichts und des
      Landgerichts und nicht auch unmittelbar gegen die
      polizeilichen Maßnahmen selbst richtet, ist zulässig. Dem
      Beschwerdeführer fehlt es insbesondere nicht an einem
      allgemeinen Rechtsschutzinteresse, weil der Freiheitseingriff
      beendet ist. Es würde der Bedeutung des Schutzes der
      persönlichen Freiheit in der im Grundgesetz garantierten Form
      nicht entsprechen, wenn das Recht auf eine
      verfassungsgerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit eines
      Eingriffs in das Freiheitsrecht bei Wiedergewährung der
      Freiheit ohne Weiteres entfiele (vgl. BVerfGE 9, 89
      <93 f.>; 10, 302 <308>; stRspr). 


14  


b) Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit auch
      im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG
      offensichtlich begründet. 


15  


aa) Die angegriffenen Beschlüsse verletzen,
      indem sie die gegen den Beschwerdeführer gerichteten
      polizeilichen Maßnahmen bestätigen, den Beschwerdeführer in
      seinem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2
      Abs. 2 Satz 2 GG. 


16  


(1) Der Schutzbereich des Grundrechts umfasst
      sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende
      Maßnahmen. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand
      durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran
      gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich
      dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich)
      zugänglich ist. Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form
      der Freiheitsbeschränkung ist nur dann gegeben, wenn die
      tatsächlich und rechtlich an sich gegebene körperliche
      Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder
      Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 94, 166
      <198>). 


17  


Eingriffe in die Freiheit der Person bedürfen
      einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118
      <119>; 29, 183 <195>), wobei die Formvorschriften
      dieser Gesetze von den Gerichten so auszulegen sind, dass
      ihnen eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung
      zukommt (vgl. BVerfGE 65, 317 <322 f.>; 96, 68
      <97>). Bei der Beschränkung im Einzelfall muss die
      Stellung des Grundrechts auch im Rahmen des
      Abwägungsprozesses angemessen berücksichtigt werden.
      Insbesondere ist sorgfältig abzuwägen, ob ein Eingriff in den
      Grenzen bleibt, die ihm durch den im Rechtsstaatsprinzip
      wurzelnden, mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der
      Verhältnismäßigkeit gezogen werden (vgl. BVerfGE 29, 312
      <316>). Diesen zu beachten, ist bei allen Eingriffen
      durch die öffentliche Gewalt ein zwingendes
      verfassungsrechtliches Gebot (vgl. BVerfGE 30, 173
      <199>). Ein Eingriff ist jedenfalls dann
      unverhältnismäßig, wenn er nicht zur Erreichung des
      angestrebten Zwecks erforderlich ist. Dies wiederum ist nicht
      der Fall, wenn ein gleich geeignetes, milderes Mittel zur
      Erreichung des Zwecks ausreichend ist (vgl. BVerfGE 67, 157
      <173>; 81, 156 <192> m.w.N.). 


18  


(2) Diesen verfassungsrechtlichen
      Anforderungen genügen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des
      Landgerichts nicht, die das Festhalten des Beschwerdeführers
      und die Aufrechterhaltung der Ingewahrsamnahme bis zur
      Entlassung durch die Polizei gegen 4.30 Uhr für rechtmäßig
      erklären. Es kann im Ergebnis dahin stehen, ob die Polizei
      den Beschwerdeführer auf der Grundlage von § 163b
      Abs. 1 Satz 2 StPO oder aufgrund von § 81b
      StPO festgehalten hat, denn die Maßnahmen erweisen sich
      jedenfalls nicht als erforderlich. 


19  


Die Vorschrift des § 163b Abs. 1
      Satz 2 StPO lässt ein Festhalten zur
      Identitätsfeststellung nur zu, wenn die Identität sonst nicht
      oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt
      werden kann. Die Vorschrift stellt insofern eine gesetzliche
      Konkretisierung des verfassungsrechtlichen
      Verhältnismäßigkeitsgebots dar und soll sicherstellen, dass
      ein Eingriff in die persönliche Freiheit nur dann erfolgt,
      wenn er zur Feststellung der Identität unerlässlich ist. Ein
      solcher Fall lag hier nicht vor. § 163b Abs. 1
      Satz 1 StPO ermächtigt Polizeibeamte, gegenüber einem
      Verdächtigen die notwendigen Maßnahmen zur
      Identitätsfeststellung zu treffen, also den Betreffenden nach
      seinen Personalien zu befragen und diesen aufzufordern,
      mitgeführte Ausweisdokumente auszuhändigen. Nur dann, wenn
      die Identität des Betreffenden auch unter Ausschöpfung dieser
      Maßnahmen nicht mit der erforderlichen Sicherheit geklärt
      werden kann oder dies mit erheblichen Schwierigkeiten
      verbunden wäre, kommt ein weiteres Festhalten nach
      Satz 2 in Betracht. Ein weiterer Eingriff in das
      Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG
      darf also nur dann erfolgen, wenn die Polizei auf der Basis
      der bereits bekannten Daten berechtigte Zweifel an der
      Identität der Person hat. Hiervon kann im vorliegenden Fall
      nicht ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat sich
      gegenüber der Polizei vor Ort mit einem Reisepass samt
      Meldebestätigung ausgewiesen. Diese amtlichen Dokumente sind
      zur Feststellung der Identität geeignet. Anhaltspunkte dafür,
      dass der Pass des Beschwerdeführers gefälscht war oder seine
      Person nicht mit dem Passinhaber übereinstimmte, etwa, weil
      das Foto keine oder nur geringe Ähnlichkeit mit ihm aufwies,
      sind weder von der Polizei noch vom Landgericht benannt
      worden noch sind sie ansonsten ersichtlich. Daher ist -
      insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtlich
      fundierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen bloßer
      Identitätsfeststellung und weiterem Festhalten - davon
      auszugehen, dass es den Polizeibeamten möglich war, die
      Identität aufgrund des vorgelegten Reisepasses vor Ort
      hinreichend sicher festzustellen. Ein Festhalten aus reinen
      Praktikabilitätserwägungen vermag schon die Erforderlichkeit
      der Maßnahme nicht zu begründen und dürfte im Übrigen auch
      auf die Abwägung im Rahmen der Prüfung der
      Verhältnismäßigkeit einer derartigen Maßnahme keinen Einfluss
      haben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten
      Senats vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90 -, NVwZ 1992,
      S. 767 <768>). 


20  


Auch ein Festhalten des Beschwerdeführers auf
      der Grundlage des § 81b Alt. 2 StPO war jedenfalls
      unverhältnismäßig, denn es verkannte die Bedeutung des
      Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2
      GG. Insoweit ist zwischen der Anordnung der Maßnahme und der
      Durchführung zu unterscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der
      1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2006
      - 2 BvR 1255/04 -, NStZ-RR 2006, S. 381
      <382>). Selbst wenn man in Bezug auf die Anordnung der
      Maßnahme mit dem Landgericht davon ausgeht, dass trotz
      eindeutig festgestellter Identität des Beschwerdeführers und
      aller anderen Personen die Erinnerung der einzelnen
      Polizisten als Zeugen vor Gericht aufgrund der Vielzahl an
      Personen ohne weitere Fotos möglicherweise nicht hinreichend
      gewährleistet gewesen wäre und es als Erinnerungsstütze noch
      ein Bedürfnis an weiteren im Strafprozess zu verwertenden
      Beweismitteln gab, rechtfertigt dies für die Durchführung
      jedenfalls nicht ein stundenlanges Festhalten und Einsperren
      des Beschwerdeführers auf verschiedenen Polizeiwachen. Die
      Gerichte verkennen die Anforderungen des
      verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, dass in
      der Formulierung „soweit (…) notwendig“ in § 81b StPO
      seinen Niederschlag auch in der einfachgesetzlichen Regelung
      gefunden hat. Sie haben insoweit nicht ausgeführt, dass ein
      stundenlanges Festhalten des Beschwerdeführers für das
      Anfertigen der Lichtbilder des Beschwerdeführers notwendig
      war. Zwar kann die Masse der zu bearbeitenden Fälle eine
      zeitliche Verzögerung rechtfertigen, jedoch fehlt es an
      Ausführungen zum Vorliegen von Erschwernissen solchen
      Ausmaßes. Allerdings ist die Polizei als
      Strafverfolgungsbehörde - soweit nicht ein genereller
      entsprechender Bedarf besteht - nicht gezwungen, Personal und
      Material für erkennungsdienstliche Maßnahmen in solchem Maß
      vorzuhalten, dass eine Bearbeitung in unmittelbarer
      zeitlicher und räumlicher Nähe erfolgen kann. Vielmehr kann
      es durchaus verhältnismäßig sein, derartige spezielle
      Ressourcen insbesondere räumlich zusammenzufassen. Eine
      Verbringung an diesen Ort und eine organisatorisch nicht zu
      vermeidende und gemäßigte Wartefrist können jedenfalls bei
      hinreichend gewichtigen Straftaten angemessene Eingriffe im
      Verhältnis zur Bedeutung des staatlichen Strafanspruches
      sein. Ein solcher Fall liegt aber auf der Basis des
      festgestellten Sachverhalts nicht vor. Der Beschwerdeführer
      ist nach mehreren Stunden ausschließlich in der Art
      erkennungsdienstlich behandelt worden, dass von ihm zwei
      einfache Fotos angefertigt wurden. Weitere Aufnahmen
      insbesondere solche, die besondere fotografische oder
      kriminalistische Erfahrung oder Ausrüstung erforderten, sind
      vom Landgericht weder festgestellt noch Teil seiner
      Verhältnismäßigkeitserwägungen geworden. Insofern stellt sich
      die erkennungsdienstliche Behandlung als die Anfertigung von
      einfachen, alltäglichen Fotoaufnahmen dar. Für die Annahme
      der Erforderlichkeit in diesem Fall hätte es einer genaueren
      Auseinandersetzung mit anderen Möglichkeiten bedurft,
      zeitlich früher Aufnahmen des Beschwerdeführers in der
      gleichen Qualität und Machart anzufertigen, die den Zweck des
      § 81b StPO nicht schlechter erfüllt hätten. Hierbei
      hätten die Gerichte insbesondere prüfen müssen, ob die
      Beamten entsprechende Aufnahmen nicht mit einer verfügbaren
      oder kurzfristig herbeizuschaffenden Kamera auch vor Ort, als
      die Personen einzeln aus dem Kessel zur
      Identitätsfeststellung herausgeführt wurden, hätten machen
      können oder sonst spätestens auf den einzelnen
      Polizeiwachen. 


21  


bb) Die das Festhalten des Beschwerdeführers
      auf der Polizeiwache sowie dem Polizeipräsidium
      einschließlich der Verbringung dorthin bestätigenden
      Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts verletzen
      den Beschwerdeführer auch in seinem grundrechtsgleichen Recht
      aus Art. 104 Abs. 2 GG. 


22  


(1) Das Einsperren des Beschwerdeführers in
      eine Gewahrsamszelle auf der Polizeiwache beziehungsweise auf
      dem Polizeipräsidium sowie als Verbindungsglied zwischen
      beiden das Verbringen dorthin mittels Polizeifahrzeugen
      stellen eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104
      Abs. 2 GG und nicht lediglich eine Freiheitsbeschränkung
      dar. Während eine Freiheitsbeschränkung schon dann anzunehmen
      ist, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen
      Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich
      dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich)
      zugänglich ist, liegt eine Freiheitsentziehung erst dann vor,
      wenn die tatsächlich und rechtlich gegebene körperliche
      Bewegungsfreiheit nach allen Seiten hin aufgehoben wird (vgl.
      BVerfGE 94, 166 <198>). Die Freiheitsentziehung ist der
      schwerste Fall der Freiheitsbeschränkung (vgl. BVerfGE 10,
      302 <323>). Beide Begriffe sind entsprechend ihrer
      Intensität abzugrenzen (vgl. BVerfGE 105, 239, 248).
      Jedenfalls muss die Unterbringung einer Person gegen ihren
      Willen in einem Haftraum als Freiheitsentziehung im Sinne von
      Art. 104 Abs. 2 GG angesehen werden (vgl. BGHZ 82,
      261 <264> und BVerwGE 62, 317 <318>). Nur
      kurzfristige Aufhebungen der Bewegungsfreiheit stellen
      dagegen keine Freiheitsentziehung dar (vgl. BVerfG, Beschluss
      der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Mai 2004 - 2
      BvR 715/04 -, NJW 2004, S. 3697). 


23  


Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und
      3 GG ist die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer
      einer Freiheitsentziehung allein dem Richter vorbehalten,
      wobei bei nicht vorgelagerter richterlicher Entscheidung
      diese unverzüglich nach Beginn der Freiheitsentziehung zu
      bewirken ist. 


24  


(2) Die Polizei hat den Beschwerdeführer
      jedenfalls von 19.55 Uhr bis 4.30 Uhr festgehalten und von
      dem Ort der Festsetzung zunächst zur Polizeiwache und dann
      zum Polizeipräsidium verbracht, wobei er zweimal für jeweils
      zumindest eine Stunde in eine Gewahrsamszelle eingesperrt
      wurde. Das Festhalten des Beschwerdeführers in
      Gewahrsamszellen auf der Polizeiwache und im Polizeipräsidium
      sowie die jeweilige Verbringung dahin stellen eine
      vollständige Aufhebung seiner Bewegungsfreiheit dar. Dabei
      stellt der Einschluss in Zellen den typischen Fall der
      hoheitlichen Freiheitsentziehung dar, den das Grundgesetz
      unter die besonderen Voraussetzungen des Art. 104
      Abs. 2 GG stellen wollte (vgl. BVerwGE 62, 317
      <318>). Anders als im Regelfall von § 81b StPO
      wurde der Beschwerdeführer nicht allein zur Dienststelle
      verbracht und im Weiteren umgehend erkennungsdienstlich
      behandelt, sondern über eine Dauer von mehreren Stunden
      allein verwahrt für eine nachfolgende erkennungsdienstliche
      Behandlung. Dies hat aber - umso mehr im Vergleich zu
      dem verfolgten Ziel, nämlich der Anfertigung von zwei
      Fotos - eigenes Gewicht. Insbesondere ist die
      Gesamtdauer der Freiheitsentziehung nicht nur als kurzfristig
      anzusehen, denn sie umfasst jedenfalls einen Zeitraum, der
      nicht mehr unbedeutend ist. 


25  


Die Gerichte haben damit die Auswirkungen des
      Festhaltens des Beschwerdeführers in tatsächlicher und in der
      Folge auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht verkannt und
      sich nicht mit den Anforderungen des Art. 104
      Abs. 2 Satz 2 GG auseinandergesetzt. Bei der
      gebotenen Qualifikation der Maßnahme als Freiheitsentziehung
      hätten sich die Gerichte mit der Frage der Notwendigkeit der
      Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung sowie den
      hierzu getroffenen organisatorischen Voraussetzungen sowie
      den Maßnahmen im Einzelfall befassen müssen. 


26  


c) Die Sache ist zur erneuten Rechtsprüfung an
      das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2
      BVerfGG). 


27  


d) Ob die angegriffenen Entscheidungen
      zugleich gegen die Versammlungsfreiheit aus Art. 8
      Abs. 1 GG verstoßen, kann ebenso dahinstehen wie die
      Frage, ob der Beschluss des Landgerichts gegen das Recht des
      Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus
      Art. 19 Abs. 4 GG verstößt. 


28  


2. Die Entscheidung über die Erstattung der
      notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus
      § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Der erfolglose Teil der
      Verfassungsbeschwerde ist von untergeordneter Bedeutung, so
      dass trotz teilweisen Unterliegens des Beschwerdeführers die
      vollständige Erstattung seiner Auslagen anzuordnen ist. 


29  


3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht
      auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in
      Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG. 


   




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