Fall 74
Aktenzeichen: 1 BvQ 12/12
Beck Online: BeckRS 2012 51712.0

cid 74 
 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 
- 1 BvQ 12/12 - 

 

In dem Verfahren 
      über den Antrag 
      im Wege der einstweiligen Anordnung 

 

die Verfügung der Stadt Frankfurt am Main vom
      4. April 2012 - 32.22 Ps - aufzuheben,
      beziehungsweise hilfsweise die aufschiebende Wirkung des
      Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der
      Stadt Frankfurt am Main vom 4. April 2012
      - 32.22 Ps - wiederherzustellen. 


   




Antragsteller: 
Piratenpartei Deutschland, Landesverband
          Hessen, 
          vertreten durch den stellvertretenden Vorsitzenden Kai
          Möller, 




   



        - Bevollmächtigter:
       

        Rechtsanwalt Emanuel Schach, Kaiserstraße 37, 
        60329 Frankfurt am Main
       


   


hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
      Bundesverfassungsgerichts durch 
die Richter Schluckebier, 
      Masing, 
      und Paulus 


   


gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit
      § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
      vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. April 2012
      einstimmig beschlossen: 


   


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung wird abgelehnt. 


   


Gründe: 

 

I. 


1  


1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung betrifft eine für sofort vollziehbar erklärte
      Verfügung der Stadt Frankfurt am Main, mit der der
      Antragstellerin verboten wurde, am 6. April 2012, Karfreitag,
      18:30 Uhr bis 21:30 Uhr eine Versammlung mit dem
      Veranstaltungsthema „Demonstration/Mahnwache gegen das
      Tanzverbot“ auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main
      durchzuführen. 


2  


Ihre Verbotsverfügung begründete die Stadt
      Frankfurt am Main mit einem zu erwartenden Verstoß gegen
      § 8 Abs. 1 Nr. 3 Hessisches Feiertagsgesetz als
      einfachgesetzliche Ausprägung des Sonn- und Feiertagsschutzes
      aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV,
      nachdem die Antragstellerin zu einem Tanzen gegen das
      Tanzverbot unter Abspielen und gemeinsamem Hören von
      Tanzmusik aufgerufen habe und in einem vorhergehenden
      Kooperationsgespräch am 3. April 2012 die Durchführung der
      Veranstaltung in Form einer stillen Mahnwache ohne Tanz und
      Musik abgelehnt habe. 


3  


Den hierauf beim Verwaltungsgericht Frankfurt
      am Main gestellten Antrag auf Wiederherstellung der
      aufschiebenden Wirkung des gegen die Verbotsverfügung
      eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht im
      Ergebnis mit der Begründung ab, dass an der Rechtmäßigkeit
      der Verbotsverfügung keine Zweifel bestünden. Dieser
      Beschluss ist der Antragstellerin gemäß ihrem eigenen
      Sachvortrag am Donnerstag, den 5. April 2012 um 16:57 Uhr
      zugegangen. 


4  


2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer
      einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die
      Aufhebung der Verbotsverfügung und hilfsweise die
      Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres
      Widerspruchs. Sie beruft sich insofern auf ihr Grundrecht der
      Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Zur Frage der
      Eilbedürftigkeit trägt sie, ohne dies näher zu begründen,
      vor, dass aufgrund des Zeitablaufes eine rechtskräftige
      Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg vor Einschaltung des
      Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich sei, so dass die
      Voraussetzungen des § 32 BVerfGG vorlägen. 

 

II. 


5  


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
      Anordnung war abzulehnen, da er bereits unzulässig ist. 


6  


Er wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht
      gerecht. 


7  


Von diesem Grundsatz ist insbesondere das sich
      aus § 90 Abs. 2 Satz 1  BVerfGG unmittelbar
      ergebende Gebot der Rechtswegerschöpfung in
      Verfassungsbeschwerdeverfahren umfasst, er kommt jedoch in
      bestimmten Fallkonstellationen auch als allgemeiner
      Gesichtspunkt der Subsidiarität verfassungsrechtlicher
      Rechtsbehelfe zur Anwendung, wenn eine angemessene vorläufige
      Regelung in der Fachgerichtsbarkeit noch erreichbar erscheint
      (vgl. BVerfGE 86, 46 <49>). 


8  


Vorliegend stand der Antragstellerin vor
      Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gegen die ablehnende
      Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch das Rechtsmittel
      der Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof zur
      Verfügung. Von diesem Rechtsmittel hat sie keinen Gebrauch
      gemacht, obwohl sie über dieses Rechtsmittel ordnungsgemäß
      belehrt wurde und nach dem Beschwerdevortrag keine Gründe
      dafür ersichtlich sind, weshalb ihr die Einlegung dieses
      Rechtsmittels nicht mehr möglich und zumutbar gewesen
      wäre. 


9  


Auch der Rechtsgedanke des § 90 Abs. 2
      Satz 2 BVerfGG rechtfertigt eine sofortige Entscheidung des
      Bundesverfassungsgerichts nicht, da der Antragstellerin kein
      besonders schwerer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift
      entsteht (vgl. BVerfGE 9, 120 <121>). Denn vorliegend
      geht es in der Sache um die schwierige, noch ungeklärte
      Rechtsfrage, inwieweit die Versammlungsfreiheit an einem
      Feiertag aufgrund dessen religiös geprägten Charakters
      eingeschränkt werden kann. Die Klärung dieser Frage wäre aber
      ohnehin nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
      möglich, sondern müsste gegebenenfalls einem
      Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch wendet sich die
      Antragstellerin im Ergebnis gegen die Verfassungsmäßigkeit
      eines förmlichen Parlamentsgesetzes. Insoweit aber sind die
      Anforderungen an den besonders schweren Nachteil für die
      Begründung vorläufigen Rechtsschutzes besonders hoch (vgl.
      BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10.
      August 2009 - 1 BvQ 34/09 -, juris, Rn. 7). Danach ist
      vorliegend von einem besonders schweren Nachteil im Sinne des
      § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht auszugehen. Auch wenn
      ein triftiger inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem
      beabsichtigen Versammlungszeitpunkt und dem Versammlungsthema
      besteht, kann der mit der Versammlung verfolgte
      Kommunikationszweck vorliegend grundsätzlich auch an einem
      anderen Tag erreicht werden. 


10  


Diese Entscheidung ist unanfechtbar. 


   




Schluckebier 
Masing 
Paulus